Das Unkrautland Teil 1
Auf den Spuren der Nebelfee
Was passierte vor unendlichen Jahren - in jenem vergessenen Zeitalter, von dem längst keine Chronik mehr berichtet? Was war damals geschehen? Scheinbar kann es niemand beantworten! Und doch gibt es Spuren, versteckte Hinweise und geheimnisvolle Bruchstücke,...
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Produktinformationen zu „Das Unkrautland Teil 1 “
Was passierte vor unendlichen Jahren - in jenem vergessenen Zeitalter, von dem längst keine Chronik mehr berichtet? Was war damals geschehen? Scheinbar kann es niemand beantworten! Und doch gibt es Spuren, versteckte Hinweise und geheimnisvolle Bruchstücke, die bis zum heutigen Tag im Unkrautland schlummern. Wer wird das große Rätsel entschlüsseln? Erzählt der Wald eines Tages seine Geschichte oder geben die Sümpfe ihre Geheimnisse preis? Liegen die Antworten zu all den Fragen auf dem Grunde des Sees oder einfach nur im Keller eines alten Gemäuers verborgen?
Klappentext zu „Das Unkrautland Teil 1 “
Was passierte vor unendlichen Jahren - in jenem vergessenen Zeitalter, von dem längst keine Chronik mehr berichtet? Was war damals geschehen? Scheinbar kann es niemand beantworten! Und doch gibt es Spuren, versteckte Hinweise und geheimnisvolle Bruchstücke, die bis zum heutigen Tag im Unkrautland schlummern. Wer wird das große Rätsel entschlüsseln? Erzählt der Wald eines Tages seine Geschichte oder geben die Sümpfe ihre Geheimnisse preis? Liegen die Antworten zu all den Fragen auf dem Grunde des Sees oder einfach nur im Keller eines alten Gemäuers verborgen? Unfreiwillig und wie durch Zufall wird Primus in die Geschichte gezogen - eine Geschichte, in die er selbst, ohne es zu wissen, schon einmal verwickelt war.
Lese-Probe zu „Das Unkrautland Teil 1 “
Das Unkrautland Teil 1 – Auf den Spuren der Nebelfee von Stefan SeitzFrühstück nach Mitternacht
Der Distelpfad war ein holpriger Weg. Verwildert, überwuchert und stellenweise vollständig zugewachsen grub er sich durch das Gehölz. Wahrlich, es war alles andere als leicht diesen kleinen Pfad zu verfolgen, da man im Finsterwald für gewöhnlich kaum etwas sehen konnte. Vielerorts standen die alten Bäume so eng, dass es nicht einmal mehr der kleinste Lichtstrahl schaffte, durch das dichte Blattwerk zu dringen. Ganz ohne Zweifel, der Finsterwald hatte sich seinen Namen zu Recht verdient! Schritt für Schritt musste man sich zwischen den Bäumen hindurchtasten, wobei man ständig irgendwo hängen blieb. Man stolperte über Wurzeln, verhedderte sich in störrischen Ranken oder stieß mit dem Kopf gegen einen der knorrigen Äste. Mit einem gemütlichen Waldspaziergang hatten diese Strapazen daher wenig zu tun. Und dennoch – trotz der vielen Unannehmlichkeiten hatte der Distelpfad einen großen Vorteil: Denn dieser gewundene Waldweg war letztendlich der Einzige, der sich ohne Unterbrechung von Norden nach Süden durch den gesamten Finsterwald schlängelte. Eine kürzere Strecke, den mächtigen Wald zu durchqueren, gab es nicht. Diejenigen also, die möglichst schnell von den besiedelten Gebieten im Norden zu den südlich gelegenen Nebelfeldern oder gar weiter bis zu den Bleibergen wollten, mussten wohl oder übel jenen Weg einschlagen. Doch darauf ließen sich nur die wenigsten ein.
Der Wald sei verhext, so hieß es, verflucht und voller Gefahren. Zahllose Geschichten wurden um ihn gesponnen, von Geistern, Spuk und schaurigen Orten. Orte, von denen angeblich so mancher Wanderer nie mehr zurückgekehrt war. Die abergläubischen Bauern siedelten sich deshalb allesamt in sicherer Entfernung von ihm an
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und mieden den Wald, soweit es nur ging. Lediglich zum Sammeln von Feuerholz wagten sie sich hin und wieder an seinen Rand. So kam es auch, dass nur ganz selten einmal jemand die Nebelfelder erreichte und von dem krummen Turm berichtete, der hoch oben auf einem Hügel stand. Und eben auf jenem Hügel, vor dem Gartentor des alten Turms, endete schließlich auch der Distelpfad.
Es war ein wackeliges Gemäuer, das schief und verdreht in den Himmel ragte. Beinahe sah es so aus, als hätte es der Wind über die Jahrhunderte hinweg in sich verbogen. Unmittelbar an die Ostwand des Turms schmiegte sich ein kleines Fachwerkhäuschen mit leeren Fenstern an. Verwunschen stand es da inmitten des ummauerten Gartens, in dem sich das Gestrüpp genauso verbreitet hatte wie die Berge alten Laubs. Wann dieses Anwesen über den Nebelfeldern erbaut worden war und besonders von wem, war weithin unbekannt. Selbst in den Archiven der Stadt Hohenweis, ihres Zeichens die Hauptstadt des Unkrautlands, war kein Erbauer oder Eigentümer mehr verzeichnet. Doch in Hohenweis kümmerte sich ohnehin schon lange niemand mehr um irgendwelche verfallenen Bauten, die außerhalb der hohen Stadtmauern lagen. Erst recht nicht um den alten Turm jenseits des Waldes, dessen Eingangstür mit Brettern vernagelt war und dessen Fensterläden krumm und schief in den Angeln hingen. Das Gebäude sei verlassen, so dachten die Stadtväter, und schon seit mehreren Jahrhunderten unbewohnt.
Doch dieser Meinung war man nicht überall. Denn gerade in den Dörfern der näheren Umgebung hatte man, was das betraf, eine völlig andere Auffassung. Verirrte Wanderer wollten in dunklen Nächten flackerndes Licht gesehen haben, das aus einem der Fenster gekommen war. Andere Quellen berichteten von schrillem Gelächter und entsetzlichen Schreien. Die abenteuerlichsten Geschichten gingen um, und jedes Dorf hatte hierbei offenbar seine eigenen: Man hätte jemanden im Turm beobachtet, flüsterten die Leute. … eine dünne schattenhafte Gestalt, die hinter einem der Fenster gekauert habe. Rabenschwarz soll sie gekleidet gewesen sein, mit Weste, Frack und einem zerknautschten Zylinderhut auf dem Kopf. Mancherorts tuschelte man auch von einem Vampir mit blitzenden Zähnen und einem Umhang. Anderswo von einer Nebelkrähe mit Gehrock. Die Gerüchte nahmen kein Ende. In Klettenheim, einem verschlafenen Dörfchen am Nordrand des Finsterwalds, beschrieb man diese Gestalt als fliegenden Schatten mit Hut und Fledermausflügeln. Und das war längst noch nicht alles! Denn die verschreckten Klettenheimer behaupteten obendrein, dass jener Schatten nicht nur dort im Turm sein Unwesen treiben würde, sondern bereits seit mehreren Jahrhunderten ihr Dorf heimsuchte. Böse war er angeblich, ein blutrünstiger Vampir, der nachts um ihren Kirchturm flatterte, ihr Essen stahl und alle Einwohner in Angst und Schrecken versetzte.
Aberglaube, so möchte man meinen. Ammenmärchen und Schreckgeschichten. Doch einen wahren Kern schienen sie trotz alledem zu bergen. Denn auch in dieser Frühlingsnacht, als der Mond hoch über den Nebelfeldern stand, brannte hinter einem der Dachfenster Licht und lautes Gepolter drang aus dem Turm. „… ich bekomme sie nicht auf …“, schallte es durch die Nacht. „Tut mir leid, aber das Ding klemmt.“
„Das kann doch nicht so schwer sein“, krächzte eine andere Stimme. „Hast du denn kein Werkzeug?“ Daraufhin wurde es still. Doch schon wenig später setzte ein ohrenbetäubendes Gerassel ein, wie von Ketten, Blechschüsseln oder Topfdeckeln. Es krachte über die Hügel, dass gewiss ein jeder Hals über Kopf Reißaus genommen hätte. Doch wie schon so oft war auch in dieser Nacht niemand in der Gegend, und daher konnte auch niemand die schwarze Gestalt beobachten, die hinter einem der erleuchteten Dachfenster stand.
Das Innere des alten Gemäuers war keineswegs so verfallen, wie es der äußere Eindruck vielleicht hätte vermuten lassen. Es war nur sehr staubig und ausgesprochen unordentlich. Egal, welches der Zimmer man auch betrat, überall lagen Bücher, Pergamente und Schriftrollen herum. Es gab Glasampullen, Winkelmesser, Zirkel und zahllose andere wissenschaftliche Geräte. Spinnweben spannten sich quer durch die Räume und in dicken Fäden hing der Staub von der Decke. Ein klein wenig aufgeräumter war es nur in der Dachkammer, wo ein riesiges Eichenbett mit rot-weiß kariertem Bettzeug fast den ganzen Raum ausfüllte. Hier oben war es gemütlich! Im Boden befand sich eine Luke, durch die man über eine Leiter zur Küche hinabsteigen konnte. Der Dachboden erstreckte sich jedoch nicht über die ganze Fläche des Hauses, sondern nur bis zur Hälfte. Dort war er mit einem Geländer abgetrennt und bot einen luftigen Blick in das herrschaftliche Kaminzimmer.
Der Mond schien zu den Fenstern herein und tauchte den Raum in ein milchiges, bläuliches Licht. Gleich neben dem Bett flackerte eine Kerze. Diese warf ihren Schein auf eine seltsame, schwarze Gestalt, die mit ratlos ausgestreckten Armen daneben stand. Jene Gestalt war mittelgroß und überaus dünn. Sie trug einen altmodischen Frack, weiße Gamaschen über den Schuhen und – genau, wie die Leute aus den Dörfern erzählten – einen hohen, zerknautschten Zylinderhut auf dem Kopf!
Den schwarzen Schatten gab es also wirklich – wenngleich er jedoch aus Fleisch und Blut war. Unschlüssig stand er vor einer rustikalen Pendeluhr und blickte zum Zifferblatt hinauf. Es schien, als würde er sich mit der Uhr unterhalten, da er eindringlich und lautstark auf sie einredete: „Nein, ich habe kein Werkzeug“, bemerkte er und zuckte mit den Schultern.
„Das kann doch nicht sein“, kam es dumpf hinter einer Klappe am Uhrkasten hervor. „Hast du schon in der Kiste nachgesehen? Da liegt doch bestimmt eine Zange drin, oder etwa nicht?“
Der Schatten sah zur Seite, wobei man deutlich seine spitze Nase erkennen konnte. Er blickte nachdenklich auf eine Truhe, die neben dem Bett in der Ecke stand. Dann wandte er sich wieder der Klappe am Uhrkasten zu. „Da ist keine Zange drin, das weiß ich genau. Ich brauche gar nicht erst nachzusehen.“ Er winkte ab und wippte nachdenklich mit dem Fuß. „Du hör mal, Primus“, hallte es aus der Uhr. „Ich habe jetzt schon 9 Minuten und 27 Sekunden Verspätung. Das bringt mir noch den ganzen Tagesplan durcheinander. Eine Blamage ist das. So etwas ist mir in den letzten hundert Jahren nicht passiert.“ Der Schatten, der offensichtlich Primus hieß, drehte sich um und schob den Zylinder zurück. Ein scharf geschnittenes Gesicht kam zum Vorschein, mit hohen Wangen und tiefliegenden Augen. Die schwarzen Haare waren streng gescheitelt und klemmten hinter den Ohren. Er kratzte sich kurz mit dem Finger an der Stirn und setzte den Hut wieder auf. Dann stellte er sich auf die Zehenspitzen. Neugierig drückte er sich gegen den Uhrkasten und lugte durch einen Schlitz bei der Klappe ins Innere hinein. „Huhu!“
„Pah!“, tönte es in einem schmollenden Ton wieder heraus. „Also gut, Bucklewhee“, sagte Primus, „ich weiß schon, wie wir das anstellen. Halte dich jetzt gut fest. Es könnte vielleicht ein bisschen schwanken.“ Mit diesen Worten packte er die Standuhr und fing an, sie umzukippen. Die Gewichte dröhnten in der Uhr, als sich diese nach vorne neigte.
„DAS NENNST DU EIN WENIG SCHWANKEN?“, kreischte die Stimme aus dem Inneren. „Ich möchte wissen, was du sagen würdest, wenn das jemand mit deinem Haus machen würde?“ Primus, der genug damit zu tun hatte, die schwere Standuhr zu stützen, verdrehte die Augen. Dann fuhr er mit dem Fingernagel in den schmalen Schlitz, um die Klappe aufzuziehen. „Jetzt pass mal gut auf!“, rief er. „Du drückst jetzt mit aller Kraft dagegen, während ich …“ Doch weiter kam er nicht! Primus blieben die Worte im Halse stecken, als schlagartig die kleine Klappe aufging. Er schnappte nach Luft. Schnell zog er den Kopf ein und ging in die Knie. Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte vor Schreck die Uhr fallen gelassen. Denn schon im nächsten Moment kam ein metallenes Scherengitter aus dem Uhrkasten geschossen, das sich quietschend über seinen Kopf hinwegbog. Eine Vogelstange klemmte an dessen Ende, worauf ein schmächtiges Hühnergerippe mit einem Hahnenkamm saß. Dem Gockel stand vor Schreck der Schnabel offen.
Es war ein wackeliges Gemäuer, das schief und verdreht in den Himmel ragte. Beinahe sah es so aus, als hätte es der Wind über die Jahrhunderte hinweg in sich verbogen. Unmittelbar an die Ostwand des Turms schmiegte sich ein kleines Fachwerkhäuschen mit leeren Fenstern an. Verwunschen stand es da inmitten des ummauerten Gartens, in dem sich das Gestrüpp genauso verbreitet hatte wie die Berge alten Laubs. Wann dieses Anwesen über den Nebelfeldern erbaut worden war und besonders von wem, war weithin unbekannt. Selbst in den Archiven der Stadt Hohenweis, ihres Zeichens die Hauptstadt des Unkrautlands, war kein Erbauer oder Eigentümer mehr verzeichnet. Doch in Hohenweis kümmerte sich ohnehin schon lange niemand mehr um irgendwelche verfallenen Bauten, die außerhalb der hohen Stadtmauern lagen. Erst recht nicht um den alten Turm jenseits des Waldes, dessen Eingangstür mit Brettern vernagelt war und dessen Fensterläden krumm und schief in den Angeln hingen. Das Gebäude sei verlassen, so dachten die Stadtväter, und schon seit mehreren Jahrhunderten unbewohnt.
Doch dieser Meinung war man nicht überall. Denn gerade in den Dörfern der näheren Umgebung hatte man, was das betraf, eine völlig andere Auffassung. Verirrte Wanderer wollten in dunklen Nächten flackerndes Licht gesehen haben, das aus einem der Fenster gekommen war. Andere Quellen berichteten von schrillem Gelächter und entsetzlichen Schreien. Die abenteuerlichsten Geschichten gingen um, und jedes Dorf hatte hierbei offenbar seine eigenen: Man hätte jemanden im Turm beobachtet, flüsterten die Leute. … eine dünne schattenhafte Gestalt, die hinter einem der Fenster gekauert habe. Rabenschwarz soll sie gekleidet gewesen sein, mit Weste, Frack und einem zerknautschten Zylinderhut auf dem Kopf. Mancherorts tuschelte man auch von einem Vampir mit blitzenden Zähnen und einem Umhang. Anderswo von einer Nebelkrähe mit Gehrock. Die Gerüchte nahmen kein Ende. In Klettenheim, einem verschlafenen Dörfchen am Nordrand des Finsterwalds, beschrieb man diese Gestalt als fliegenden Schatten mit Hut und Fledermausflügeln. Und das war längst noch nicht alles! Denn die verschreckten Klettenheimer behaupteten obendrein, dass jener Schatten nicht nur dort im Turm sein Unwesen treiben würde, sondern bereits seit mehreren Jahrhunderten ihr Dorf heimsuchte. Böse war er angeblich, ein blutrünstiger Vampir, der nachts um ihren Kirchturm flatterte, ihr Essen stahl und alle Einwohner in Angst und Schrecken versetzte.
Aberglaube, so möchte man meinen. Ammenmärchen und Schreckgeschichten. Doch einen wahren Kern schienen sie trotz alledem zu bergen. Denn auch in dieser Frühlingsnacht, als der Mond hoch über den Nebelfeldern stand, brannte hinter einem der Dachfenster Licht und lautes Gepolter drang aus dem Turm. „… ich bekomme sie nicht auf …“, schallte es durch die Nacht. „Tut mir leid, aber das Ding klemmt.“
„Das kann doch nicht so schwer sein“, krächzte eine andere Stimme. „Hast du denn kein Werkzeug?“ Daraufhin wurde es still. Doch schon wenig später setzte ein ohrenbetäubendes Gerassel ein, wie von Ketten, Blechschüsseln oder Topfdeckeln. Es krachte über die Hügel, dass gewiss ein jeder Hals über Kopf Reißaus genommen hätte. Doch wie schon so oft war auch in dieser Nacht niemand in der Gegend, und daher konnte auch niemand die schwarze Gestalt beobachten, die hinter einem der erleuchteten Dachfenster stand.
Das Innere des alten Gemäuers war keineswegs so verfallen, wie es der äußere Eindruck vielleicht hätte vermuten lassen. Es war nur sehr staubig und ausgesprochen unordentlich. Egal, welches der Zimmer man auch betrat, überall lagen Bücher, Pergamente und Schriftrollen herum. Es gab Glasampullen, Winkelmesser, Zirkel und zahllose andere wissenschaftliche Geräte. Spinnweben spannten sich quer durch die Räume und in dicken Fäden hing der Staub von der Decke. Ein klein wenig aufgeräumter war es nur in der Dachkammer, wo ein riesiges Eichenbett mit rot-weiß kariertem Bettzeug fast den ganzen Raum ausfüllte. Hier oben war es gemütlich! Im Boden befand sich eine Luke, durch die man über eine Leiter zur Küche hinabsteigen konnte. Der Dachboden erstreckte sich jedoch nicht über die ganze Fläche des Hauses, sondern nur bis zur Hälfte. Dort war er mit einem Geländer abgetrennt und bot einen luftigen Blick in das herrschaftliche Kaminzimmer.
Der Mond schien zu den Fenstern herein und tauchte den Raum in ein milchiges, bläuliches Licht. Gleich neben dem Bett flackerte eine Kerze. Diese warf ihren Schein auf eine seltsame, schwarze Gestalt, die mit ratlos ausgestreckten Armen daneben stand. Jene Gestalt war mittelgroß und überaus dünn. Sie trug einen altmodischen Frack, weiße Gamaschen über den Schuhen und – genau, wie die Leute aus den Dörfern erzählten – einen hohen, zerknautschten Zylinderhut auf dem Kopf!
Den schwarzen Schatten gab es also wirklich – wenngleich er jedoch aus Fleisch und Blut war. Unschlüssig stand er vor einer rustikalen Pendeluhr und blickte zum Zifferblatt hinauf. Es schien, als würde er sich mit der Uhr unterhalten, da er eindringlich und lautstark auf sie einredete: „Nein, ich habe kein Werkzeug“, bemerkte er und zuckte mit den Schultern.
„Das kann doch nicht sein“, kam es dumpf hinter einer Klappe am Uhrkasten hervor. „Hast du schon in der Kiste nachgesehen? Da liegt doch bestimmt eine Zange drin, oder etwa nicht?“
Der Schatten sah zur Seite, wobei man deutlich seine spitze Nase erkennen konnte. Er blickte nachdenklich auf eine Truhe, die neben dem Bett in der Ecke stand. Dann wandte er sich wieder der Klappe am Uhrkasten zu. „Da ist keine Zange drin, das weiß ich genau. Ich brauche gar nicht erst nachzusehen.“ Er winkte ab und wippte nachdenklich mit dem Fuß. „Du hör mal, Primus“, hallte es aus der Uhr. „Ich habe jetzt schon 9 Minuten und 27 Sekunden Verspätung. Das bringt mir noch den ganzen Tagesplan durcheinander. Eine Blamage ist das. So etwas ist mir in den letzten hundert Jahren nicht passiert.“ Der Schatten, der offensichtlich Primus hieß, drehte sich um und schob den Zylinder zurück. Ein scharf geschnittenes Gesicht kam zum Vorschein, mit hohen Wangen und tiefliegenden Augen. Die schwarzen Haare waren streng gescheitelt und klemmten hinter den Ohren. Er kratzte sich kurz mit dem Finger an der Stirn und setzte den Hut wieder auf. Dann stellte er sich auf die Zehenspitzen. Neugierig drückte er sich gegen den Uhrkasten und lugte durch einen Schlitz bei der Klappe ins Innere hinein. „Huhu!“
„Pah!“, tönte es in einem schmollenden Ton wieder heraus. „Also gut, Bucklewhee“, sagte Primus, „ich weiß schon, wie wir das anstellen. Halte dich jetzt gut fest. Es könnte vielleicht ein bisschen schwanken.“ Mit diesen Worten packte er die Standuhr und fing an, sie umzukippen. Die Gewichte dröhnten in der Uhr, als sich diese nach vorne neigte.
„DAS NENNST DU EIN WENIG SCHWANKEN?“, kreischte die Stimme aus dem Inneren. „Ich möchte wissen, was du sagen würdest, wenn das jemand mit deinem Haus machen würde?“ Primus, der genug damit zu tun hatte, die schwere Standuhr zu stützen, verdrehte die Augen. Dann fuhr er mit dem Fingernagel in den schmalen Schlitz, um die Klappe aufzuziehen. „Jetzt pass mal gut auf!“, rief er. „Du drückst jetzt mit aller Kraft dagegen, während ich …“ Doch weiter kam er nicht! Primus blieben die Worte im Halse stecken, als schlagartig die kleine Klappe aufging. Er schnappte nach Luft. Schnell zog er den Kopf ein und ging in die Knie. Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte vor Schreck die Uhr fallen gelassen. Denn schon im nächsten Moment kam ein metallenes Scherengitter aus dem Uhrkasten geschossen, das sich quietschend über seinen Kopf hinwegbog. Eine Vogelstange klemmte an dessen Ende, worauf ein schmächtiges Hühnergerippe mit einem Hahnenkamm saß. Dem Gockel stand vor Schreck der Schnabel offen.
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Autoren-Porträt von Stefan Seitz
Stefan Seitz, geb. 1972 in München, studierte Innenarchitektur und unterrichtete 3D-Animation sowie Computervisualisierung. Seine ersten Werke waren ein Fachbuch für den Addison Wesley Verlag, sowie mehrere Artikel über Computergrafik in einschlägigen Fachmagazinen. Mit der Unkrautland-Trilogie schuf er ein neues Epos, voller Magier und Geheimnisse.
Produktdetails
- Autor: Stefan Seitz
- Altersempfehlung: Ab 10 Jahre
- 2006, 6. Aufl., 304 Seiten, 1 Abbildungen, Maße: 14,4 x 22,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Cleon Verlag
- ISBN-10: 3000202951
- ISBN-13: 9783000202957
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