Der weiße Neger Wumbaba
Axel Hackes Kolumne im "SZ-Magazin" ist Kult. Hier entdeckt der Münchner Autor für Sie Ver-Hörer als eigentliche Quelle unerschöpflicher Poesie - von teils schrecklicher Schönheit.
In diesem von Michael Sowa...
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Axel Hackes Kolumne im "SZ-Magazin" ist Kult. Hier entdeckt der Münchner Autor für Sie Ver-Hörer als eigentliche Quelle unerschöpflicher Poesie - von teils schrecklicher Schönheit.
In diesem von Michael Sowa unterhaltsam illustrierten Buch begegnen wir so unvergesslichen Gestalten wie Herrn Dabesin und Frau Weinezehr, dem Erdbeerschorsch, Kaufmann Ohrjens und Holger, dem Knaben mit dem lockigen Haar u.v.a.
Der weiße Neger Wumbaba vonAxel Hacke und Michael Sowa
LESEPROBE
Mutter Weinezehr und FräuleinLeichnam:
Schönheit und Schrecken desVerhörens
In einemder ersten Briefe, die mich zu diesem Thema erreichten, schrieb Leser 13., erhabe als Kind oft das Lied vom Hänschen klein gehört, darin die Zeilen:
»Da besinntsich das Kind, eilet heim geschwind.«
B. aberverstand den Text immer anders, er hörte: Dabesin sieht das Kind, eilet heimgeschwind.«
B. hattedafür nur eine Erklärung: Es müsse einen Herrn Dabesin (wohl ein Bekannter derEltern) geben, der das entlaufene Kind sehe und zu den Eltern eile, die es dannholten. Oder der mit dein Kind rede und es dazu bringe, reumütig heim zu eilen.Kaum hatte ich das veröffentlicht, meldete sich bei mir Herr W., der mir denkompletten Text der zweiten Hänschen-Strophe zur Verfügung stellte, jedenfallswie er sie verstand:
»AberMutter Weinezehr hat ja nun kein Hänschen mehr! Dabesin sieht das Kind, eiletheim geschwind.«
Damit wurdedie Sache plötzlich viel klarer: Dabesin ist der Geliebte von Frau Weinezehr,Hänschens Mutter, der zu ihr eilt, nachdem er Hänschen hat gehensehen. Nun aber werden neue Fragen aufgeworfen: Ist Dabesin Hänschens Vater?Warum nimmt er Hänschen nicht mit zur weinenden Mutter? Hat er ihn gehasst? HatHänschen ihn gestört, wenn er mit Mutter Weinezehr allein sein wollte? IstHänschen am Ende seinetwegen gegangen, weil er den Stiefvater nicht mehrertrug? Das muss offen bleiben. Fest steht aber: Wir, die wir immer alle Textefalsch verstehen, sobald wir sie nicht lesen, sondern hören, sobald siegesungen, gebetet oder sonstwie vorgetragen werden, wir leben in einerrätselhaften, doch auch reichen, poetischen Welt, bevölkert von Wesen, die niemandaußer uns auch nur zu kennen imstande ist. Nehmen wir jenen Herrn, der michnach einer Lesung ansprach, um mir seine Version von Matthias Claudius' Der Mondist aufgegangen mitzuteilen. Da heißt es:
»Der Wald steht schwarz und schweiget, und aus den Wiesensteiget der weiße Nebel wunderbar.«
Dieser Mann erzählte mir, was in seinen Ohren klang: »DerWald steht schwarz und schweiget,
und aus den Wiesen steiget der weiße Neger Wumbaba.«
Das hat nun etwas, das weit über Claudius hinausweist: Vonweißen Nebeln singen kann, mit Verlaub, jeder. Aber einen weißen Neger namensWumbaba zu ersinnen - das ist sehr groß. Sehr viel später meldete sich bei mirnoch Leser L. aus München, der eine münchnerisch-bayerische Version vortrug,die auf seine Enkel zurückgeht, und in der es heißt:
»Und aus der Isar steiget der weiße Neger Wumbaba.«
Das ist natürlich auch nicht zu verachten, wenngleich ich esdoch schöner finde, diese sagenhaft fremd-schöne Wumbaba-Gestalt ausnebelüberhangenen Wiesen aufsteigen zu sehen, die sich vor einem schwarzenWalde erstrecken. Da kann die Isar nicht leicht mithalten.
Herr Dabesin, Mutter Weinezehr, Wumbaba...
Der Verhörende schafft sich gewissermaßen aus der Unverständlichkeitder Welt heraus seinen eigenen Figurenkosmos, ein Beweis für diekindlich-dichterische Kraft, die vielen von uns innewohnt, ohne dass wireigentlich etwas von ihr ahnen, und die uns ganz nebenbei Figuren beschert wieden unermesslich reichen niederländischen Kaufmann Ohrjens, von dem Leser J.aus Berlin berichtete.
J. sang als Kind:
»Schwer mit den Schätzen des Ohrjens beladen, Ziehet einSchifflein am Horizont dahin.«
Und er will bis heute nicht verstehen, dass die Schätze »desOrients« gemeint waren. Recht hat er! Aber wie tief stürzen wir, wenn wir unsvon hier aus noch einmal dem Kinderlied zuwenden, jenem zum Beispiel, mit demeinst Frau L. als Kind Abend für Abend in den Schlaf gesungen wurde: »GutenAbend, gute Nacht, mit Rosen bedacht, mit Näglein besteckt, lieg' unter derDeck'.«
Vielleicht wäre es nett gewesen, hätte damals jemand derkleinen L. erklärt, mit »Näglein« sei Flieder gemeint, »Braunnägelein«, wie manzu Brahms' Zeiten sagte. Sie wäre friedlicher eingeschlafen. Kaum hatte ichaber die Geschichte der L. veröffentlicht, meldete sich bei mir Frau E., derenTochter sogar immer zu weinen begann, wenn man ihr dieses Guten Abend, guteNacht vorsang. Es war aber eine andere Zeile als bei der kleinen L., welchedie Tochter der Frau E. so ängstigte, dass sie immer wieder rief: »Du sollst aufhören,aufhören!«
Die Zeile hieß:
»Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt.«
Als die Mutter fragte, warum denn - um Gottes willen! - sieaufhören solle zu singen, da stellte sich heraus, dass ihr Kind diese Passagedes berühmten Lieds so verstanden hatte: »Morgen früh, wenn Gott will, wirst duwieder gewürgt.«
Dies vor dem Hintergrund, dass die Tochter einen rabiatenSandkastenkameraden hatte, der allen anderen Kindern mit Vorliebe an den Halsging und von den Erwachsenen ständig gemahnt werden musste: »Hör mit dem Würgenaufl« Und sie hasste diesen Sandkastenknaben und hasste und hasste ihn. Unddoch hieß es Abend für Abend, morgen früh, »wenn Gott will«, werde sie wiedergewürgt.
Daran schließt sich nahtlos der Bericht von Frau F. an, dievon einem Kind berichtet, das sich einmal bei ihr nach dem »Lied vom totenHannes« erkundigte. Es stellte sich dann heraus: Gemeint war Der Hahn isttot, was im Elternhaus des Kindes gern und oft und immer mit viel Schwunggesungen wurde. Die Eltern sollen nicht wenig erschrocken über die Nachrichtgewesen sein, dass ihr eigenes Kind ihnen zutraute, mit so viel Elan vom toten Hanneszu singen.
Hannes hieß nämlich der Bruder des Kleinen. (...)
© Verlag Antje Kunstmann GmbH, München 2004
- Autor: Axel Hacke
- 2004, 34. Aufl., 64 Seiten, mit farbigen Abbildungen, Maße: 14 x 16 cm, Gebunden, Deutsch
- Illustration:Sowa, Michael
- Verlag: Verlag Antje Kunstmann
- ISBN-10: 3888973678
- ISBN-13: 9783888973673
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