Die Belagerung / Die Chroniken von Araluen Bd.6
"Flanagan gelingt es, eine mitreißende Geschichte zu erzählen, die in einer fantastischen, mittelalterlichen Welt spielt. Er erzählt von Freundschaft, Abenteuer und Gefahren. Superhelden sucht man vergeblich, das macht das Buch so sympathisch." --...
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Produktinformationen zu „Die Belagerung / Die Chroniken von Araluen Bd.6 “
"Flanagan gelingt es, eine mitreißende Geschichte zu erzählen, die in einer fantastischen, mittelalterlichen Welt spielt. Er erzählt von Freundschaft, Abenteuer und Gefahren. Superhelden sucht man vergeblich, das macht das Buch so sympathisch." -- Westfälische Nachrichten über Die Chroniken von Araluen
"Wills lebendige Welt wird Fantasy-Leser fesseln, die spannende Abenteuer mit glaubwürdigen, bodenständigen Helden lieben." -- Booklist
"Wills lebendige Welt wird Fantasy-Leser fesseln, die spannende Abenteuer mit glaubwürdigen, bodenständigen Helden lieben." -- Booklist
Klappentext zu „Die Belagerung / Die Chroniken von Araluen Bd.6 “
Ein mitterlalterliches Königreich, bedroht von bösen Kräften und ungeheuerlichen Kreaturen, verteidigt von einem jungen Waldläufer und seinen Freunden - willkommen in Araluen!Burg Macindaw wird von Verrätern besetzt und es ist an Will, die Verteidigung gegen eine drohende Invasion der Skotten aufzustellen. Mit Mut und Einfallsreichtum - und der Hilfe eines alten Freundes - macht sich Will an seine erste geheime Mission im Dienste des Königs ...
Spannende und actionreiche Abenteuer in einem fantastisch-mittlalterlichen Setting - tauche ein in »Die Chroniken von Araluen«!
Lese-Probe zu „Die Belagerung / Die Chroniken von Araluen Bd.6 “
Die Belagerung von John FlanaganEins
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Gundar Hardstriker, der Kapitän des nordländischen Schiffes Wolfswolke, kaute schlecht gelaunt
auf einem zähen Stück Rauchfleisch. Seine Mannschaft saß beim Essen zusammengedrängt unter dem dürftigen Schutz von Bäumen und Segeltuch und wärmte sich so gut es ging an einem kleinen qualmenden Feuer. So nahe an der Küste verwandelte sich der Schnee meist um die Mittagszeit in eiskalten Graupelregen, der im Laufe des Nachmittags wieder gefror. Die Mannschaft wartete darauf, dass ihr Kapitän einen Ausweg aus dieser Situation fand, das wusste Gundar nur zu gut. Aber ihm blieb nichts anderes übrig, als ihnen einzugestehen, dass er keinen wusste. Sie waren in Araluen gestrandet, ohne jede Hoffnung auf eine Rückkehr nach Skandia.
Etwa hundertfünfzig Fuß entfernt lag die Wolfswolke mit Schlagseite am Flussufer. Selbst aus dieser Entfernung konnte Gundar mit geübtem Seemannsblick den Knick im Rumpf erkennen, und dieser Anblick brach ihm fast das Herz. Für einen Nordländer war sein eigenes Schiff ein lebendes Wesen, eine Verkörperung seiner Persönlichkeit.
Und jetzt war dieses Schiff kaputt. Der Kiel war schwer beschädigt, der Rumpf eingebrochen. Die Wolfswolke taugte nur noch als Bau- und Feuerholz, jetzt, da der Winter sie alle fest im Griff hatte. Bisher hatte Gundar es vermieden, das Schiff zu zerlegen, doch viel länger konnte er nicht mehr warten. Sie brauchten das Holz, um sich notdürftig Hütten zu bauen, oder eben auch als Feuerholz. Doch solange die Wolfswolke wie ein Schiff aussah, selbst mit diesem verdammten Knick im Rumpf, konnte er sich noch mit einem gewissen Stolz als Skirl betrachten, wie Nordländer einen Schiffskapitän nannten.
Die Reise war vom Anfang bis zum Ende eine Katastrophe gewesen, erinnerte sich Gundar düster. Sie hatten an den gallischen und iberischen Küstendörfern Beute machen wollen. Raubzüge in Araluen gab es in jüngster Zeit nur noch selten, da der Oberjarl von Skandia ein Abkommen mit dem König von Araluen unterzeichnet hatte. Seither waren Raubzüge zwar nicht ausdrücklich verboten, sie wurden jedoch vom Oberjarl Erak nicht gern gesehen, und nur ein wirklich dummer oder tollkühner Skirl würde es riskieren, Eraks Unwillen auf sich zu ziehen.
Gundar und seine Männer hatten die Meerenge als die Letzten der Nordländerflotte erreicht und die anliegenden Dörfer entweder leer vorgefunden, weil andere ihnen zuvorgekommen waren, oder sie hatten es mit Einwohnern zu tun bekommen, die gewarnt waren und sich ihnen kampfbereit entgegenstellten. Es hatte harte Kämpfe gegeben, bei denen der Kapitän einige Männer verloren hatte und ohne Beute abziehen musste. Schließlich hatte er einen Zufluchtsort gesucht und bei einer kleinen Insel vor der Südostküste von Araluen angelegt. Er brauchte dringend Vorräte für die lange winterliche Reise zurück nach Norden.
Gundar lächelte wehmütig, als er darüber nachdachte. Wenn es einen erfreulichen Teil der Reise gegeben hatte, so war es dieser gewesen. Denn auf der Insel waren er und seine Mannschaft von einem jungen Waldläufer begrüßt worden - und zwar eben jenem, der vor einigen Jahren an Eraks Seite in der Schlacht gegen die Temujai gekämpft hatte.
Zu ihrer Verblüffung hatte der Waldläufer ihnen angeboten, sie mit Verpflegung zu versorgen. Er hatte sie sogar zu einem abendlichen Bankett in die Burg eingeladen, zusammen mit den örtlichen Honoratioren und deren Frauen. Gundars Lächeln wurde breiter bei der Erinnerung an diesen Abend - wenn er daran dachte, wie seine rauen und unbeholfenen Seeleute sich bemüht hatten, ihr bestes Benehmen an den Tag zu legen und ihre Tischgenossen höflich ersuchten, doch bitte das Fleisch weiterzureichen, oder darum baten, Wein nachgeschenkt zu bekommen. Ihre Versuche, sich unter die bessere Gesellschaft zu mischen, hätten zu Hause in Skandia Stoff für einige gute Geschichten abgegeben.
Sein Lächeln schwand. Zu Hause in Skandia. Er hatte keine Ahnung, wie sie wieder dorthin kommen sollten. Oder ob sie überhaupt jemals zurückkämen. Sie hatten die kleine Insel Seacliff gut genährt und mit reichlich Proviant verlassen. Und der Waldläufer hatte ihnen zum Abschied sogar noch einen Sklaven überlassen.
Der Name des Mannes war Buttle. John Buttle. Er war ein Verbrecher - ein Dieb und Mörder - und seine Anwesenheit in Araluen ein Quell steten Ärgers für den Waldläufer. Deshalb hatte er Gundar um den Gefallen gebeten, Buttle als Sklaven nach Skandia mitzunehmen. Der Skirl hatte sofort zugestimmt. Der Mann war stark und gesund und würde einen guten Preis bringen, wenn sie erst zu Hause waren.
Doch dann waren sie in einen schweren Sturm geraten.
Als sie sich dem Festland von Araluen näherten, hatte Gundar befohlen, Buttles Ketten zu lösen. Sie wurden mit der Leeseite auf die Küste zugetrieben, eine Situation, die alle Seeleute fürchteten, und es konnte sein, dass das Schiff es nicht schaffte. Der Mann sollte wenigstens eine Überlebenschance haben.
Gundar würde nie das entsetzliche Geräusch vergessen, als die Wolfswolke auf einen Meeresfelsen auflief. Für Gundar fühlte es sich an, als wäre es sein eigenes Rückgrat, das da brach. Sein geliebtes Schiff knirschte und stöhnte. An der Art und Weise, wie die Wolfswolke in den Wellen wegsackte, und daran, wie quälend langsam sie auf das Ruder reagierte, erkannte Gundar, dass sie es nicht schaffen würde. Mit jeder folgenden Welle wurde das Leck größer, und es war nur eine Frage der Zeit, bis die Wolfswolke entzweibrach und unterging. Aber sie war ein zähes Schiff und noch nicht bereit, aufzugeben ... noch nicht.
So als hätten die Meeresgötter ihnen noch einmal helfen wollen, hatte Gundar unverhofft eine Bucht in der felsigen Küste entdeckt, wo eine Flussmündung sich ins Meer öffnete. Er steuerte darauf zu, und obwohl das Schiff schon Schlagseite hatte, schafften sie es in das sichere Gewässer des Flusses. Erschöpft ließen sich die Männer auf ihren Ruderbänken zurückfallen, während der Wind und die heftigen Wellen schwächer wurden.
Das war der Moment, in dem Buttle seine Gelegenheit zur Flucht sah. Er griff sich das Messer vom Gürtel eines Mannes und zog es ihm über die Kehle. Ein anderer Ruderer versuchte, ihn aufzuhalten, aber Buttle schlug ihn nieder, sprang über die Reling und schwamm ans Ufer. Die Seeleute konnten ihm nicht folgen, denn eigenartigerweise können nur wenige Nordländer schwimmen. Obendrein war das Schiff im Begriff unterzugehen. Daher war Gundar gezwungen, Buttle ziehen zu lassen und stattdessen einen Anlegeplatz am Ufer anzusteuern.
Nach der nächsten Biegung entdeckte er einen schmalen Kiesstreifen, der ihren Bedürfnissen genügte, dorthin lenkte Gundar die Wolfswolke. Keinen Augenblick zu früh, wie sich zeigte, als der Kiel endgültig nachgab und brach. Es war, als hätte das Schiff seine Mannschaft bis an Land bringen wollen, um dann still zu sterben.
Die Seeleute gingen an Land und errichteten unter Bäumen ein notdürftiges Lager. Gundar befahl seinen Männern, sich unauffällig zu verhalten. Ohne Schiff hatten sie keine Möglichkeit zu entkommen, und wer konnte schon genau sagen, wie die Einheimischen auf sie reagieren würden oder wie viele bewaffnete Männer sie aufbieten könnten. Auch wenn Nordländer nie einem Kampf auswichen, wäre es dumm, eine Auseinandersetzung mutwillig herbeizuführen, solange sie hier in diesem Land gestrandet waren.
Wenigstens hatten sie genug zu essen, dafür hatte der Waldläufer gesorgt. Aber Gundar brauchte Zeit, um sich einen Ausweg aus dieser verzwickten Lage zu überlegen. Vielleicht konnten sie, wenn das Wetter sich besserte, ein kleines Boot aus dem Holz der Wolfswolke bauen. Gundar seufzte. Er wusste sich einfach keinen Rat. Er war Seemann, kein Schiffsbauer.
Er blickte sich in seinem kleinen Lager um. Hinter der Lichtung, wo er jetzt saß, hatten seine Leute die beiden von Buttle ermordeten Männer begraben. Was für eine Schande, dass sie die Kameraden nicht nach anständiger nordländischer Sitte bestatten konnten.
Gundar schüttelte betrübt den Kopf. »Verflucht sei John Buttle«, brummte er vor sich hin. »Ich hätte ihn über Bord werfen sollen, und zwar gefesselt, wie er war.«
»Ja, das wäre womöglich das Beste gewesen«, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihm.
Gundar sprang auf die Füße, wirbelte herum und griff nach seiner Streitaxt.
»Bei Thuraks Hörnern!«, rief er. »Wo zum Teufel seid Ihr denn hergekommen?«
Ein paar Schritte von ihm entfernt saß ein Fremder in einem schwarzweiß gesprenkelten Umhang auf einem Baumstamm. Gundar packte die Streitaxt fester und musterte die seltsame Gestalt. Sie befanden sich hier in einem alten, dunklen und unheimlichen Wald. Vielleicht war dies ein Geist oder ein Wiedergänger, der über die Gegend wachte. Das Muster des Umhangs schimmerte, ja es schien sich zu verändern, und Gundar blinzelte, um genauer sehen zu können.
Seine Männer, die seinen Warnruf vernommen hatten, versammelten sich hinter ihm. Aber die Gestalt in Umhang und Kapuze hatte etwas an sich, was auch sie verunsicherte. Sie blieben hinter ihrem Anführer stehen und warteten auf sein Kommando.
Der Fremde erhob sich und Gundar wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Darüber ärgerte er sich und machte sofort wieder einen großen Schritt nach vorn. Seine Stimme war fest, als er sprach.
»Wenn du ein Geist bist«, sagte er, »dann verüble uns die Frage nicht. Andernfalls sag mir sofort, wer du bist - oder du wirst bald ein Geist sein.«
Der Fremde lachte leise auf. »Gut gesprochen, Gundar Hardstriker, gut gesprochen.«
Gundar spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Der Ton seines Gegenüber war freundlich gewesen, aber woher wusste er seinen Namen? Das konnte doch nur bedeuten, dass übernatürliche Kräfte im Spiel waren.
Der Fremde hob die Arme und schob die Kapuze des Umhangs zurück. »Kommt schon, Gundar, erkennt Ihr mich nicht mehr?«, fragte er gut gelaunt.
Gundar betrachtete ihn verblüfft. Vor ihm stand ganz sicher kein verhärmter Geist. Es war ein junges Gesicht mit einem braunen Haarschopf über dunkelbraunen Augen und einem breiten Grinsen. Ein vertrautes Gesicht. Und jetzt wusste Gundar auch, wo er dieses merkwürdig wandelbare Muster des Umhangs schon einmal gesehen hatte.
»Will Hallas!«, rief er überrascht aus. »Seid Ihr das wirklich?«
»Der und kein anderer«, antwortete Will.
Er machte einen Schritt auf den Kapitän zu und streckte dabei seine Hand zum Gruß aus. Gundar ergriff sie und schüttelte sie heftig - erleichtert, dass er nicht einem Waldgeist gegenüberstand. Hinter sich hörte er die überraschten Ausrufe seiner Mannschaft. Sie waren wohl genauso erleichtert wie er selbst.
Will sah sich um und lächelte. »Schön, vertraute Gesichter zu sehen«, stellte er fest. Einige Nordländer riefen ihm Grußworte zu, die er erwiderte, doch dann runzelte er die Stirn.
»Ich sehe Ulf Oakbender gar nicht«, sagte er zu Gundar. Ulf hatte mit ihm in der Schlacht gegen die Reiter des Ostens gekämpft und er war es auch gewesen, der Will auf der Insel Seacliff als Erster erkannt hatte. Bei dem berühmten Bankett hatten sie nebeneinander gesessen und über die Schlacht gesprochen.
Der Kapitän verzog schmerzvoll das Gesicht. »Diese Ratte namens Buttle hat ihn ermordet«, erklärte er.
Wills Lächeln schwand. »Es tut mir leid, das zu hören. Er war ein guter Mann.«
Es herrschte einen Moment lang Schweigen, während die Seeleute des toten Kameraden gedachten. Dann deutete Gundar hinter sich.
»Wollt Ihr uns nicht Gesellschaft leisten?«, fragte er. »Wir haben noch etwas zähes Pökelfleisch und schlechten Wein, dank einer gewissen, sehr großzügigen Person, die wir auf einer Insel im Süden trafen.«
Will grinste bei der scherzhaften Anspielung und folgte Gundar in ihr kleines Lager. Und wieder musste Will so manche Hand schütteln.
Der Anblick eines vertrauten Gesichts, noch dazu das eines Waldläufers, ließ die Seeleute hoffen, dass es vielleicht doch einen Weg aus ihrer misslichen Lage gab.
Will setzte sich auf einen Baumstamm an das Feuer unter einem Unterstand, der mithilfe des großen Hauptsegels errichtet worden war. Er nahm ein Trinkhorn mit Wein an und prostete den Männern zu.
»Also, Will Hallas«, sagte Gundar, »was bringt Euch zu uns?«
Übersetzung: Angelika Eisold Viebig
© 2011 der deutschsprachigen Ausgabe cbj Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House
Gundar Hardstriker, der Kapitän des nordländischen Schiffes Wolfswolke, kaute schlecht gelaunt
auf einem zähen Stück Rauchfleisch. Seine Mannschaft saß beim Essen zusammengedrängt unter dem dürftigen Schutz von Bäumen und Segeltuch und wärmte sich so gut es ging an einem kleinen qualmenden Feuer. So nahe an der Küste verwandelte sich der Schnee meist um die Mittagszeit in eiskalten Graupelregen, der im Laufe des Nachmittags wieder gefror. Die Mannschaft wartete darauf, dass ihr Kapitän einen Ausweg aus dieser Situation fand, das wusste Gundar nur zu gut. Aber ihm blieb nichts anderes übrig, als ihnen einzugestehen, dass er keinen wusste. Sie waren in Araluen gestrandet, ohne jede Hoffnung auf eine Rückkehr nach Skandia.
Etwa hundertfünfzig Fuß entfernt lag die Wolfswolke mit Schlagseite am Flussufer. Selbst aus dieser Entfernung konnte Gundar mit geübtem Seemannsblick den Knick im Rumpf erkennen, und dieser Anblick brach ihm fast das Herz. Für einen Nordländer war sein eigenes Schiff ein lebendes Wesen, eine Verkörperung seiner Persönlichkeit.
Und jetzt war dieses Schiff kaputt. Der Kiel war schwer beschädigt, der Rumpf eingebrochen. Die Wolfswolke taugte nur noch als Bau- und Feuerholz, jetzt, da der Winter sie alle fest im Griff hatte. Bisher hatte Gundar es vermieden, das Schiff zu zerlegen, doch viel länger konnte er nicht mehr warten. Sie brauchten das Holz, um sich notdürftig Hütten zu bauen, oder eben auch als Feuerholz. Doch solange die Wolfswolke wie ein Schiff aussah, selbst mit diesem verdammten Knick im Rumpf, konnte er sich noch mit einem gewissen Stolz als Skirl betrachten, wie Nordländer einen Schiffskapitän nannten.
Die Reise war vom Anfang bis zum Ende eine Katastrophe gewesen, erinnerte sich Gundar düster. Sie hatten an den gallischen und iberischen Küstendörfern Beute machen wollen. Raubzüge in Araluen gab es in jüngster Zeit nur noch selten, da der Oberjarl von Skandia ein Abkommen mit dem König von Araluen unterzeichnet hatte. Seither waren Raubzüge zwar nicht ausdrücklich verboten, sie wurden jedoch vom Oberjarl Erak nicht gern gesehen, und nur ein wirklich dummer oder tollkühner Skirl würde es riskieren, Eraks Unwillen auf sich zu ziehen.
Gundar und seine Männer hatten die Meerenge als die Letzten der Nordländerflotte erreicht und die anliegenden Dörfer entweder leer vorgefunden, weil andere ihnen zuvorgekommen waren, oder sie hatten es mit Einwohnern zu tun bekommen, die gewarnt waren und sich ihnen kampfbereit entgegenstellten. Es hatte harte Kämpfe gegeben, bei denen der Kapitän einige Männer verloren hatte und ohne Beute abziehen musste. Schließlich hatte er einen Zufluchtsort gesucht und bei einer kleinen Insel vor der Südostküste von Araluen angelegt. Er brauchte dringend Vorräte für die lange winterliche Reise zurück nach Norden.
Gundar lächelte wehmütig, als er darüber nachdachte. Wenn es einen erfreulichen Teil der Reise gegeben hatte, so war es dieser gewesen. Denn auf der Insel waren er und seine Mannschaft von einem jungen Waldläufer begrüßt worden - und zwar eben jenem, der vor einigen Jahren an Eraks Seite in der Schlacht gegen die Temujai gekämpft hatte.
Zu ihrer Verblüffung hatte der Waldläufer ihnen angeboten, sie mit Verpflegung zu versorgen. Er hatte sie sogar zu einem abendlichen Bankett in die Burg eingeladen, zusammen mit den örtlichen Honoratioren und deren Frauen. Gundars Lächeln wurde breiter bei der Erinnerung an diesen Abend - wenn er daran dachte, wie seine rauen und unbeholfenen Seeleute sich bemüht hatten, ihr bestes Benehmen an den Tag zu legen und ihre Tischgenossen höflich ersuchten, doch bitte das Fleisch weiterzureichen, oder darum baten, Wein nachgeschenkt zu bekommen. Ihre Versuche, sich unter die bessere Gesellschaft zu mischen, hätten zu Hause in Skandia Stoff für einige gute Geschichten abgegeben.
Sein Lächeln schwand. Zu Hause in Skandia. Er hatte keine Ahnung, wie sie wieder dorthin kommen sollten. Oder ob sie überhaupt jemals zurückkämen. Sie hatten die kleine Insel Seacliff gut genährt und mit reichlich Proviant verlassen. Und der Waldläufer hatte ihnen zum Abschied sogar noch einen Sklaven überlassen.
Der Name des Mannes war Buttle. John Buttle. Er war ein Verbrecher - ein Dieb und Mörder - und seine Anwesenheit in Araluen ein Quell steten Ärgers für den Waldläufer. Deshalb hatte er Gundar um den Gefallen gebeten, Buttle als Sklaven nach Skandia mitzunehmen. Der Skirl hatte sofort zugestimmt. Der Mann war stark und gesund und würde einen guten Preis bringen, wenn sie erst zu Hause waren.
Doch dann waren sie in einen schweren Sturm geraten.
Als sie sich dem Festland von Araluen näherten, hatte Gundar befohlen, Buttles Ketten zu lösen. Sie wurden mit der Leeseite auf die Küste zugetrieben, eine Situation, die alle Seeleute fürchteten, und es konnte sein, dass das Schiff es nicht schaffte. Der Mann sollte wenigstens eine Überlebenschance haben.
Gundar würde nie das entsetzliche Geräusch vergessen, als die Wolfswolke auf einen Meeresfelsen auflief. Für Gundar fühlte es sich an, als wäre es sein eigenes Rückgrat, das da brach. Sein geliebtes Schiff knirschte und stöhnte. An der Art und Weise, wie die Wolfswolke in den Wellen wegsackte, und daran, wie quälend langsam sie auf das Ruder reagierte, erkannte Gundar, dass sie es nicht schaffen würde. Mit jeder folgenden Welle wurde das Leck größer, und es war nur eine Frage der Zeit, bis die Wolfswolke entzweibrach und unterging. Aber sie war ein zähes Schiff und noch nicht bereit, aufzugeben ... noch nicht.
So als hätten die Meeresgötter ihnen noch einmal helfen wollen, hatte Gundar unverhofft eine Bucht in der felsigen Küste entdeckt, wo eine Flussmündung sich ins Meer öffnete. Er steuerte darauf zu, und obwohl das Schiff schon Schlagseite hatte, schafften sie es in das sichere Gewässer des Flusses. Erschöpft ließen sich die Männer auf ihren Ruderbänken zurückfallen, während der Wind und die heftigen Wellen schwächer wurden.
Das war der Moment, in dem Buttle seine Gelegenheit zur Flucht sah. Er griff sich das Messer vom Gürtel eines Mannes und zog es ihm über die Kehle. Ein anderer Ruderer versuchte, ihn aufzuhalten, aber Buttle schlug ihn nieder, sprang über die Reling und schwamm ans Ufer. Die Seeleute konnten ihm nicht folgen, denn eigenartigerweise können nur wenige Nordländer schwimmen. Obendrein war das Schiff im Begriff unterzugehen. Daher war Gundar gezwungen, Buttle ziehen zu lassen und stattdessen einen Anlegeplatz am Ufer anzusteuern.
Nach der nächsten Biegung entdeckte er einen schmalen Kiesstreifen, der ihren Bedürfnissen genügte, dorthin lenkte Gundar die Wolfswolke. Keinen Augenblick zu früh, wie sich zeigte, als der Kiel endgültig nachgab und brach. Es war, als hätte das Schiff seine Mannschaft bis an Land bringen wollen, um dann still zu sterben.
Die Seeleute gingen an Land und errichteten unter Bäumen ein notdürftiges Lager. Gundar befahl seinen Männern, sich unauffällig zu verhalten. Ohne Schiff hatten sie keine Möglichkeit zu entkommen, und wer konnte schon genau sagen, wie die Einheimischen auf sie reagieren würden oder wie viele bewaffnete Männer sie aufbieten könnten. Auch wenn Nordländer nie einem Kampf auswichen, wäre es dumm, eine Auseinandersetzung mutwillig herbeizuführen, solange sie hier in diesem Land gestrandet waren.
Wenigstens hatten sie genug zu essen, dafür hatte der Waldläufer gesorgt. Aber Gundar brauchte Zeit, um sich einen Ausweg aus dieser verzwickten Lage zu überlegen. Vielleicht konnten sie, wenn das Wetter sich besserte, ein kleines Boot aus dem Holz der Wolfswolke bauen. Gundar seufzte. Er wusste sich einfach keinen Rat. Er war Seemann, kein Schiffsbauer.
Er blickte sich in seinem kleinen Lager um. Hinter der Lichtung, wo er jetzt saß, hatten seine Leute die beiden von Buttle ermordeten Männer begraben. Was für eine Schande, dass sie die Kameraden nicht nach anständiger nordländischer Sitte bestatten konnten.
Gundar schüttelte betrübt den Kopf. »Verflucht sei John Buttle«, brummte er vor sich hin. »Ich hätte ihn über Bord werfen sollen, und zwar gefesselt, wie er war.«
»Ja, das wäre womöglich das Beste gewesen«, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihm.
Gundar sprang auf die Füße, wirbelte herum und griff nach seiner Streitaxt.
»Bei Thuraks Hörnern!«, rief er. »Wo zum Teufel seid Ihr denn hergekommen?«
Ein paar Schritte von ihm entfernt saß ein Fremder in einem schwarzweiß gesprenkelten Umhang auf einem Baumstamm. Gundar packte die Streitaxt fester und musterte die seltsame Gestalt. Sie befanden sich hier in einem alten, dunklen und unheimlichen Wald. Vielleicht war dies ein Geist oder ein Wiedergänger, der über die Gegend wachte. Das Muster des Umhangs schimmerte, ja es schien sich zu verändern, und Gundar blinzelte, um genauer sehen zu können.
Seine Männer, die seinen Warnruf vernommen hatten, versammelten sich hinter ihm. Aber die Gestalt in Umhang und Kapuze hatte etwas an sich, was auch sie verunsicherte. Sie blieben hinter ihrem Anführer stehen und warteten auf sein Kommando.
Der Fremde erhob sich und Gundar wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Darüber ärgerte er sich und machte sofort wieder einen großen Schritt nach vorn. Seine Stimme war fest, als er sprach.
»Wenn du ein Geist bist«, sagte er, »dann verüble uns die Frage nicht. Andernfalls sag mir sofort, wer du bist - oder du wirst bald ein Geist sein.«
Der Fremde lachte leise auf. »Gut gesprochen, Gundar Hardstriker, gut gesprochen.«
Gundar spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Der Ton seines Gegenüber war freundlich gewesen, aber woher wusste er seinen Namen? Das konnte doch nur bedeuten, dass übernatürliche Kräfte im Spiel waren.
Der Fremde hob die Arme und schob die Kapuze des Umhangs zurück. »Kommt schon, Gundar, erkennt Ihr mich nicht mehr?«, fragte er gut gelaunt.
Gundar betrachtete ihn verblüfft. Vor ihm stand ganz sicher kein verhärmter Geist. Es war ein junges Gesicht mit einem braunen Haarschopf über dunkelbraunen Augen und einem breiten Grinsen. Ein vertrautes Gesicht. Und jetzt wusste Gundar auch, wo er dieses merkwürdig wandelbare Muster des Umhangs schon einmal gesehen hatte.
»Will Hallas!«, rief er überrascht aus. »Seid Ihr das wirklich?«
»Der und kein anderer«, antwortete Will.
Er machte einen Schritt auf den Kapitän zu und streckte dabei seine Hand zum Gruß aus. Gundar ergriff sie und schüttelte sie heftig - erleichtert, dass er nicht einem Waldgeist gegenüberstand. Hinter sich hörte er die überraschten Ausrufe seiner Mannschaft. Sie waren wohl genauso erleichtert wie er selbst.
Will sah sich um und lächelte. »Schön, vertraute Gesichter zu sehen«, stellte er fest. Einige Nordländer riefen ihm Grußworte zu, die er erwiderte, doch dann runzelte er die Stirn.
»Ich sehe Ulf Oakbender gar nicht«, sagte er zu Gundar. Ulf hatte mit ihm in der Schlacht gegen die Reiter des Ostens gekämpft und er war es auch gewesen, der Will auf der Insel Seacliff als Erster erkannt hatte. Bei dem berühmten Bankett hatten sie nebeneinander gesessen und über die Schlacht gesprochen.
Der Kapitän verzog schmerzvoll das Gesicht. »Diese Ratte namens Buttle hat ihn ermordet«, erklärte er.
Wills Lächeln schwand. »Es tut mir leid, das zu hören. Er war ein guter Mann.«
Es herrschte einen Moment lang Schweigen, während die Seeleute des toten Kameraden gedachten. Dann deutete Gundar hinter sich.
»Wollt Ihr uns nicht Gesellschaft leisten?«, fragte er. »Wir haben noch etwas zähes Pökelfleisch und schlechten Wein, dank einer gewissen, sehr großzügigen Person, die wir auf einer Insel im Süden trafen.«
Will grinste bei der scherzhaften Anspielung und folgte Gundar in ihr kleines Lager. Und wieder musste Will so manche Hand schütteln.
Der Anblick eines vertrauten Gesichts, noch dazu das eines Waldläufers, ließ die Seeleute hoffen, dass es vielleicht doch einen Weg aus ihrer misslichen Lage gab.
Will setzte sich auf einen Baumstamm an das Feuer unter einem Unterstand, der mithilfe des großen Hauptsegels errichtet worden war. Er nahm ein Trinkhorn mit Wein an und prostete den Männern zu.
»Also, Will Hallas«, sagte Gundar, »was bringt Euch zu uns?«
Übersetzung: Angelika Eisold Viebig
© 2011 der deutschsprachigen Ausgabe cbj Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House
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Autoren-Porträt von John Flanagan
John Flanagan arbeitete als Werbetexter und Drehbuchautor, bevor er das Bücherschreiben zu seinem Hauptberuf machte. Den ersten Band von »Die Chroniken von Araluen« schrieb er, um seinen 12-jährigen Sohn zum Lesen zu animieren. Die Reihe eroberte in Australien in kürzester Zeit die Bestsellerlisten.
Produktdetails
- Autor: John Flanagan
- Altersempfehlung: Ab 11 Jahre
- 2011, Deutsche Erstausgabe, 350 Seiten, Maße: 17,9 x 12,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Angelika Eisold-Viebig
- Verlag: cbt
- ISBN-10: 3570222225
- ISBN-13: 9783570222225
- Erscheinungsdatum: 04.02.2011
Rezension zu „Die Belagerung / Die Chroniken von Araluen Bd.6 “
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