Fischer Schatzinsel / Ein Ort wie dieser
Wer 'Simpel' mag, wird auch diese Geschichte lieben! Denn das neue Jugendbuch der Erfolgsautorin Marie-Aude Murail ist gleichzeitig herzerfrischend, herzerwärmend und herzzerreißend.
Endlich ist Cécile Lehrerin! Mit zitternden Knien steht sie nun 18...
Endlich ist Cécile Lehrerin! Mit zitternden Knien steht sie nun 18...
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Produktinformationen zu „Fischer Schatzinsel / Ein Ort wie dieser “
Klappentext zu „Fischer Schatzinsel / Ein Ort wie dieser “
Wer 'Simpel' mag, wird auch diese Geschichte lieben! Denn das neue Jugendbuch der Erfolgsautorin Marie-Aude Murail ist gleichzeitig herzerfrischend, herzerwärmend und herzzerreißend.Endlich ist Cécile Lehrerin! Mit zitternden Knien steht sie nun 18 Erstklässlern gegenüber. Sie muss ihnen einfach nur lesen beibringen. Einfach? Nicht für die schüchterne Cécile. Die Kinder sind wild, die Eltern fordernd, der kleinen Schule droht die Schließung ... und dann verliebt sich Cécile auch noch Hals über Kopf. Da sind mittelschwere Katastrophen vorprogrammiert! Um der Schule, den Kindern und sich selbst zu helfen, muss Cécile ihre Angst besiegen. Und damit beginnt sie genau jetzt!
Dieses großartige Buch ist ein Aufruf zu mehr Solidarität, ein beeindruckender Appell gegen Egoismus, Rassismus und Kapitalismus und einfach ein riesiges Lesevergnügen.
Lese-Probe zu „Fischer Schatzinsel / Ein Ort wie dieser “
Ein Ort wie dieser von Marie-Aude MurailKapitel 11
In dem Heiratspläne geschmiedet werden
»Es ist eine Schande! Am Ende werfe ich die noch aus meiner Klasse!«
Chantal Pommier, die theatralische Auftritte liebte, hatte gerade die Tür zum Lehrerzimmer aufgerissen. Cécile und Melanie sahen sie an und warteten auf weitere Informationen.
»Die kleine Boualé, die ich in meiner Klasse habe ...«
»Welche?«, fragte Melanie.
Chantal hielt in ihrem Schwung inne und bewegte ihre Armreife: »Ich weiß es nicht mehr. Nicht die Zwillinge, die andere ...«
»Also Donatienne«, präzisierte Melanie.
»Ganz genau. Seit zwei Tagen hält sie sich mit Leidensmiene die Wange. Schließlich reicht es mir, und ich frage sie, was sie hat. ›Ich hab Zahnweh.‹ Ich schimpfe ein bisschen mit ihr, sage ihr, das soll sie ihren Eltern sagen, anstatt so ein Gesicht zu machen. Am Ende lasse ich sie den Mund aufmachen.«
Cécile öffnete verdutzt den eigenen. Glücklich, eine neue Zuhörerin gefunden zu haben, fügte Chantal hinzu: »Ich wollte sehen, ob sie nicht einen Abszess hat. So etwas kann sehr gefährlich sein. Mein Mann ist Arzt, und er hat manchmal Fälle gesehen, die ... Ja, das mag überraschen, dass mein Mann Arzt ist.«
Cécile hatte keinerlei Überraschung gezeigt, aber Melanie, die wusste, was folgen würde, da sie es schon zehn Mal hatte über sich ergehen lassen, floh zu ihrem Wasserkocher. Chantal wirbelte ein paar Mal mit ihren Armreifen: »Ich bin oft gefragt worden, warum ich Grundschullehrerin bin, wo mein Mann, Doktor Pommier, doch ein gutes Auskommen hat. Ein sehr gutes sogar.«
... mehr
Sie schien den dicksten ihrer Armreifen zu untersuchen. »Aber was soll das? Ich hätte mich nie damit zufrieden gegeben, nur die Frau von Doktor Pommier zu sein. Übrigens habe ich eine Leidenschaft für meinen Beruf. Und außerdem, wenn man Kinder mag ... So etwas lässt sich nicht erzwingen. Ich muss ihre kleinen Gesichtchen sehen, ihre kleinen Bemerkungen hören und ...«
»War es ein Abszess?«, unterbrach Cécile sie.
»Ein Abszess?«, wiederholte Chantal, als verstehe sie nicht, wovon die Rede war. »Ach ja! Ein Abszess ... Nein. Karies. Voller Karies. Schrecklich. Diese Leute achten nicht auf ihre Kinder. Sie haben zu viele. Mein Mann hat mir gesagt, man mache sich keine Vorstellung, wie sehr es an der einfachsten Hygiene ...«
Cécile wandte Madame Pommier den Rücken zu und ließ sie mitten im Satz stehen.
»Wirklich asozial«, schimpfte sie.
Seit Cécile vor Monsieur Montoriol zusammengebrochen war, hatte sie nicht wieder mit ihm gesprochen. Er schien ihre Verlegenheit zu verstehen und grüßte sie von weitem. Und doch nutzte Cécile die Pause, um an seine Bürotür zu klopfen.
»Ja, herein. Ach! Cécile ...«
Er warf ihr einen raschen besorgten Blick zu, aber fuhr fröhlich fort, während er auf das Durcheinander auf seinem Schreibtisch deutete: »All dieser Papierkram, der wächst nach wie Unkraut! Und Sie, wie geht's?«
»Ich wollte mit Ihnen über Donatienne sprechen. Wissen Sie, wen ich meine?«
»In der Dritten, zusammen mit Prudence und Pélagie.« Man ertappte den Herrn Direktor nicht so leicht bei einem Fehler.
»Anscheinend hat sie Zahnschmerzen. Laut Madame Pommier hat sie starke Karies, die nicht behandelt wurde.« Georges zögerte kurz, dann deutete er auf den Sessel, der auf der anderen Seite seines Schreibtischs stand.
»Setzen Sie sich.«
Er schwieg erneut, dann gab er sich einen Ruck: »Ich habe ein Problem mit den Baoulés. Ein großes Problem. Sie bezahlen die Kantine nicht mehr. Die Stadtverwaltung hat mich informiert. Die Septemberrechnung wurde nicht beglichen, und sie sind noch im Rückstand vom letzten Schuljahr.«
»Sie haben nicht genug Geld, um zu zahlen«, sagte Cécile schroff.
Sie ereiferte sich. Sie dachte an Démor, an Toussaint.
»Das ist offensichtlich«, räumte Georges ein. »Ich ... Ich wollte Monsieur Baoulé kontaktieren, um mit ihm zu bereden, was man tun könnte. Aber ...«
Er hob einen Stapel hoch. »Er hat mir keine genaue Adresse gegeben. Saint-Jeande- Cléry. Das ist alles. Keine Telefonnummer. Nichts. Und wenn die Schule aus ist, sehe ich nie jemanden.«
»Man braucht nur die Kinder zu fragen.«
Georges nickte.
»Alphonse hat mir geantwortet, ihr Haus sei nicht in einer Straße. Er hat mir nichts anderes sagen können. Oder er hat nicht gewollt.«
»Und wegen der Kantine?«, fragte Cécile.
Georges Hände verkrampften sich über einem Blatt mit Verwaltungsbriefkopf.
»Ich habe quasi den ›Befehl‹ erhalten, den Baoulés kein Essen mehr auszugeben.«
Cécile sprang von ihrem Sessel auf.
»Was? Und ... werden Sie sich daran halten?«
Vor Wut schnappte sie nach Luft. Ein unbekanntes Gefühl überwältigte sie. Empörung. Georges hielt ihrem Blick stand und knüllte gleichzeitig das Blatt zusammen. »Nein«, sagte er. »Ich werde das aus dem Budget der Schulgenossenschaft bezahlen. Aber ich riskiere Scherereien. «
Das Klingeln zum Pausenende ertönte. Georges und Cécile standen gleichzeitig auf.
»Ich habe Ihnen von all dem nichts erzählt, nicht wahr?«, murmelte der Herr Direktor.
»Und die Karies der Kleinen?«
Georges machte eine machtlose Geste: »Ich habe nicht einmal das Recht, ihr Aspirin zu geben!«
Nach der Pause nutzte Cécile die kleine Mathematik- Fördergruppe, um Démor zu fragen: »Sind es bis zu dir nach Hause viele Haltestellen?«
Démor blähte die Backen auf, um auszudrücken, dass er keine Ahnung hatte.
»Wie lange brauchst du?«, hakte Cécile nach.
Dieselbe Grimasse.
»Kennst du deine Adresse?«
»Das ist der Bahnhof«, antwortete der Kleine.
»Die Bahnhofstraße?«
»Nein, der Bahnhof.«
Cécile gab das Spiel auf. Aber nach dem Mittagessen suchte sie auf dem Hof Donatienne. Neben ihr standen die Zwillingsschwestern, die versuchten, sie zu trösten. »Hast du immer noch Zahnweh?«, fragte Cécile mit Verschwörermiene.
Donatienne nickte traurig.
»Ich habe Aspirin gekauft, komm und hol dir ein Glas Wasser in der Küche.«
Das war gegen die Vorschrift. Die Sache musste also unauffällig vonstattengehen.
»Danke«, sagte die Kleine, als sie das Glas zurückgab.
»Ich müsste mit deiner Mama reden. Glaubst du, ich könnte nach der Schule kurz bei euch vorbeikommen?«
Die Augen des Mädchens weiteten sich verwundert. Sie war misstrauisch.
»Warum wollen Sie denn mit ihr reden?«
»Wegen des Zahnarztes. Du musst zum Zahnarzt gehen.« Die Kleine senkte den Kopf und nuschelte: »Ich darf nicht. Das hat die Dame von der Ambulanz gesagt.«
Wieder wurde Cécile von der Empörung fast überwältigt. »Aber wieso das denn? In Frankreich hat jeder das Recht, behandelt zu werden!«
Donatienne schüttelte den Kopf.
»Wir haben nicht die richtige Karte. Das ist eine grüne Karte, aus Plastik. Die Dame, die hat gesagt, ich soll in der Elfenbeinküste zum Zahnarzt gehen. Und da hat sie sogar gelacht, weil die Zähne, die sind doch aus Elfenbein. «
Die Wut schüttelte Cécile wie einen Baum im Sturm.
»Das werden wir sehen, ob du kein Recht hast«, murmelte sie. »Das werden wir noch sehen.«
Als die Schule aus war, rannte Démor zu seinem großen Bruder und rief: »Es qué émaitressi cloi ba aolo wafan?« (Kann die Lehrerin zu uns nach Hause kommen?)
Cécile näherte sich Alphonse, der seinen Clan versammelte. Er sah ihr direkt in die Augen: »Sie wollen zu uns nach Hause kommen?«
Alle Kleinen verschlangen sie mit Blicken.
»Ja ... also ... wenn du denkst, dass das möglich ist.«
Alphonse wusste, dass sein Vater Angst vor Weißen hatte, den Whities, wie er sie nannte.
»Sie kommt«, sagte Leon.
»Sie kommt, sie kommt!«, riefen Démor und Toussaint.
Alphonse stimmte zu, wie es eben ein Mann tut, der die Verantwortung trägt.
»Aber es ist weit«, warnte er.
Cécile lächelte amüsiert. Saint-Jean-de-Cléry war nur ein paar Straßenbahnhaltestellen entfernt. Sie war daher sehr überrascht, als die Kinder an der Haltestelle vorbeigingen und den Weg unter den Arkaden der Rue Principale einschlugen.
Alphonse ging voran, und Cécile fragte sich, warum er seinen Pulli nicht anzog. Es wurde dämmrig, und es wehte ein scharfer Nordwind. Ausnahmsweise hatte Leon sich von der Spitzengruppe gelöst, trieb sich um die Lehrerin herum und warf ihr ungläubige Blicke zu. Sie war da, sie lief mit ihnen! Wie konnte er ihr sagen, dass er in sie verliebt war, ohne dass die anderen ihn hörten? Es war schwierig, weil Démor und Toussaint sie an der Hand genommen hatten und ihr einen Haufen Unsinn erzählten. Sie tat, als würde sie ihnen zuhören, während sie dachte: Wohin gehen die nur? Wir laufen jetzt eine gute Viertelstunde. Und das mit den dicken Ranzen, die sie schleppen müssen!
Nur die Ranzen von Démor und Toussaint waren leicht, da sie weder Bücher noch Hefte zu transportieren hatten. »Ist es noch weit?«, fragte Cécile wie ein Kind, das ungeduldig wird.
Die Gebäude der Innenstadt hatten Einfamilienhäusern und dann Einkaufszentren Platz gemacht.
»Oje, oje, ja!«, seufzte Toussaint.
»Aber wir sind schon bei Auchan. Jetzt essen wir etwas«, fügte Leon hinzu, um seiner Angebeteten Mut zu machen.
»Ich hab das nicht gewusst, ich hab nichts für die Lehrerin mitgenommen«, sagte Clotilde entschuldigend.
Sie öffnete ihren Ranzen und holte ein erstes Stück Brot heraus.
»Das macht nichts«, erwiderte Leon, der halb tot vor Hunger war, aber sich opferte. »Ich gebe ihr meins.«
Er hielt der immer erstaunteren Cécile ein Stück Brot hin. »Nein, das ist lieb von dir, Tiburce, ich habe keinen Hunger. «
»Ich heiße Leon«, verbesserte der kleine Junge gekränkt. Cécile hatte nicht den Blick vom Herrn Direktor, der die Baoulé-Kinder an ihrer Kleidung erkannte, die sich nie änderte.
»Ich hab einen Apfel!«, rief Felix. »Magst du davon, Leon?«
»Nein, nein.«
Er wollte vor Cécile nicht als Vielfraß dastehen.
»Ich hab einen kleinen Käse«, rief Alphonse. »Magst du davon, Leon?«
»Jetzt lasst mich doch in Ruhe«, knurrte er. Cécile bemerkte, dass er leicht hinkte. Donatienne wiederum sah starr geradeaus, mit der Schicksalsergebenheit leidender Kinder. Honorine wusste nicht mehr, wie sie ihren Ranzen tragen sollte, so sehr zog er ihr an den Schultern.
»Soll ich deine Tasche nehmen, Victorine?«, schlug Cécile ihr vor.
»Ich bin Honorine. Nein, das geht schon.«
»Wir sind Neger. Wir sind stark«, erklärte Leon angeberisch.
Copyright © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main.
Sie schien den dicksten ihrer Armreifen zu untersuchen. »Aber was soll das? Ich hätte mich nie damit zufrieden gegeben, nur die Frau von Doktor Pommier zu sein. Übrigens habe ich eine Leidenschaft für meinen Beruf. Und außerdem, wenn man Kinder mag ... So etwas lässt sich nicht erzwingen. Ich muss ihre kleinen Gesichtchen sehen, ihre kleinen Bemerkungen hören und ...«
»War es ein Abszess?«, unterbrach Cécile sie.
»Ein Abszess?«, wiederholte Chantal, als verstehe sie nicht, wovon die Rede war. »Ach ja! Ein Abszess ... Nein. Karies. Voller Karies. Schrecklich. Diese Leute achten nicht auf ihre Kinder. Sie haben zu viele. Mein Mann hat mir gesagt, man mache sich keine Vorstellung, wie sehr es an der einfachsten Hygiene ...«
Cécile wandte Madame Pommier den Rücken zu und ließ sie mitten im Satz stehen.
»Wirklich asozial«, schimpfte sie.
Seit Cécile vor Monsieur Montoriol zusammengebrochen war, hatte sie nicht wieder mit ihm gesprochen. Er schien ihre Verlegenheit zu verstehen und grüßte sie von weitem. Und doch nutzte Cécile die Pause, um an seine Bürotür zu klopfen.
»Ja, herein. Ach! Cécile ...«
Er warf ihr einen raschen besorgten Blick zu, aber fuhr fröhlich fort, während er auf das Durcheinander auf seinem Schreibtisch deutete: »All dieser Papierkram, der wächst nach wie Unkraut! Und Sie, wie geht's?«
»Ich wollte mit Ihnen über Donatienne sprechen. Wissen Sie, wen ich meine?«
»In der Dritten, zusammen mit Prudence und Pélagie.« Man ertappte den Herrn Direktor nicht so leicht bei einem Fehler.
»Anscheinend hat sie Zahnschmerzen. Laut Madame Pommier hat sie starke Karies, die nicht behandelt wurde.« Georges zögerte kurz, dann deutete er auf den Sessel, der auf der anderen Seite seines Schreibtischs stand.
»Setzen Sie sich.«
Er schwieg erneut, dann gab er sich einen Ruck: »Ich habe ein Problem mit den Baoulés. Ein großes Problem. Sie bezahlen die Kantine nicht mehr. Die Stadtverwaltung hat mich informiert. Die Septemberrechnung wurde nicht beglichen, und sie sind noch im Rückstand vom letzten Schuljahr.«
»Sie haben nicht genug Geld, um zu zahlen«, sagte Cécile schroff.
Sie ereiferte sich. Sie dachte an Démor, an Toussaint.
»Das ist offensichtlich«, räumte Georges ein. »Ich ... Ich wollte Monsieur Baoulé kontaktieren, um mit ihm zu bereden, was man tun könnte. Aber ...«
Er hob einen Stapel hoch. »Er hat mir keine genaue Adresse gegeben. Saint-Jeande- Cléry. Das ist alles. Keine Telefonnummer. Nichts. Und wenn die Schule aus ist, sehe ich nie jemanden.«
»Man braucht nur die Kinder zu fragen.«
Georges nickte.
»Alphonse hat mir geantwortet, ihr Haus sei nicht in einer Straße. Er hat mir nichts anderes sagen können. Oder er hat nicht gewollt.«
»Und wegen der Kantine?«, fragte Cécile.
Georges Hände verkrampften sich über einem Blatt mit Verwaltungsbriefkopf.
»Ich habe quasi den ›Befehl‹ erhalten, den Baoulés kein Essen mehr auszugeben.«
Cécile sprang von ihrem Sessel auf.
»Was? Und ... werden Sie sich daran halten?«
Vor Wut schnappte sie nach Luft. Ein unbekanntes Gefühl überwältigte sie. Empörung. Georges hielt ihrem Blick stand und knüllte gleichzeitig das Blatt zusammen. »Nein«, sagte er. »Ich werde das aus dem Budget der Schulgenossenschaft bezahlen. Aber ich riskiere Scherereien. «
Das Klingeln zum Pausenende ertönte. Georges und Cécile standen gleichzeitig auf.
»Ich habe Ihnen von all dem nichts erzählt, nicht wahr?«, murmelte der Herr Direktor.
»Und die Karies der Kleinen?«
Georges machte eine machtlose Geste: »Ich habe nicht einmal das Recht, ihr Aspirin zu geben!«
Nach der Pause nutzte Cécile die kleine Mathematik- Fördergruppe, um Démor zu fragen: »Sind es bis zu dir nach Hause viele Haltestellen?«
Démor blähte die Backen auf, um auszudrücken, dass er keine Ahnung hatte.
»Wie lange brauchst du?«, hakte Cécile nach.
Dieselbe Grimasse.
»Kennst du deine Adresse?«
»Das ist der Bahnhof«, antwortete der Kleine.
»Die Bahnhofstraße?«
»Nein, der Bahnhof.«
Cécile gab das Spiel auf. Aber nach dem Mittagessen suchte sie auf dem Hof Donatienne. Neben ihr standen die Zwillingsschwestern, die versuchten, sie zu trösten. »Hast du immer noch Zahnweh?«, fragte Cécile mit Verschwörermiene.
Donatienne nickte traurig.
»Ich habe Aspirin gekauft, komm und hol dir ein Glas Wasser in der Küche.«
Das war gegen die Vorschrift. Die Sache musste also unauffällig vonstattengehen.
»Danke«, sagte die Kleine, als sie das Glas zurückgab.
»Ich müsste mit deiner Mama reden. Glaubst du, ich könnte nach der Schule kurz bei euch vorbeikommen?«
Die Augen des Mädchens weiteten sich verwundert. Sie war misstrauisch.
»Warum wollen Sie denn mit ihr reden?«
»Wegen des Zahnarztes. Du musst zum Zahnarzt gehen.« Die Kleine senkte den Kopf und nuschelte: »Ich darf nicht. Das hat die Dame von der Ambulanz gesagt.«
Wieder wurde Cécile von der Empörung fast überwältigt. »Aber wieso das denn? In Frankreich hat jeder das Recht, behandelt zu werden!«
Donatienne schüttelte den Kopf.
»Wir haben nicht die richtige Karte. Das ist eine grüne Karte, aus Plastik. Die Dame, die hat gesagt, ich soll in der Elfenbeinküste zum Zahnarzt gehen. Und da hat sie sogar gelacht, weil die Zähne, die sind doch aus Elfenbein. «
Die Wut schüttelte Cécile wie einen Baum im Sturm.
»Das werden wir sehen, ob du kein Recht hast«, murmelte sie. »Das werden wir noch sehen.«
Als die Schule aus war, rannte Démor zu seinem großen Bruder und rief: »Es qué émaitressi cloi ba aolo wafan?« (Kann die Lehrerin zu uns nach Hause kommen?)
Cécile näherte sich Alphonse, der seinen Clan versammelte. Er sah ihr direkt in die Augen: »Sie wollen zu uns nach Hause kommen?«
Alle Kleinen verschlangen sie mit Blicken.
»Ja ... also ... wenn du denkst, dass das möglich ist.«
Alphonse wusste, dass sein Vater Angst vor Weißen hatte, den Whities, wie er sie nannte.
»Sie kommt«, sagte Leon.
»Sie kommt, sie kommt!«, riefen Démor und Toussaint.
Alphonse stimmte zu, wie es eben ein Mann tut, der die Verantwortung trägt.
»Aber es ist weit«, warnte er.
Cécile lächelte amüsiert. Saint-Jean-de-Cléry war nur ein paar Straßenbahnhaltestellen entfernt. Sie war daher sehr überrascht, als die Kinder an der Haltestelle vorbeigingen und den Weg unter den Arkaden der Rue Principale einschlugen.
Alphonse ging voran, und Cécile fragte sich, warum er seinen Pulli nicht anzog. Es wurde dämmrig, und es wehte ein scharfer Nordwind. Ausnahmsweise hatte Leon sich von der Spitzengruppe gelöst, trieb sich um die Lehrerin herum und warf ihr ungläubige Blicke zu. Sie war da, sie lief mit ihnen! Wie konnte er ihr sagen, dass er in sie verliebt war, ohne dass die anderen ihn hörten? Es war schwierig, weil Démor und Toussaint sie an der Hand genommen hatten und ihr einen Haufen Unsinn erzählten. Sie tat, als würde sie ihnen zuhören, während sie dachte: Wohin gehen die nur? Wir laufen jetzt eine gute Viertelstunde. Und das mit den dicken Ranzen, die sie schleppen müssen!
Nur die Ranzen von Démor und Toussaint waren leicht, da sie weder Bücher noch Hefte zu transportieren hatten. »Ist es noch weit?«, fragte Cécile wie ein Kind, das ungeduldig wird.
Die Gebäude der Innenstadt hatten Einfamilienhäusern und dann Einkaufszentren Platz gemacht.
»Oje, oje, ja!«, seufzte Toussaint.
»Aber wir sind schon bei Auchan. Jetzt essen wir etwas«, fügte Leon hinzu, um seiner Angebeteten Mut zu machen.
»Ich hab das nicht gewusst, ich hab nichts für die Lehrerin mitgenommen«, sagte Clotilde entschuldigend.
Sie öffnete ihren Ranzen und holte ein erstes Stück Brot heraus.
»Das macht nichts«, erwiderte Leon, der halb tot vor Hunger war, aber sich opferte. »Ich gebe ihr meins.«
Er hielt der immer erstaunteren Cécile ein Stück Brot hin. »Nein, das ist lieb von dir, Tiburce, ich habe keinen Hunger. «
»Ich heiße Leon«, verbesserte der kleine Junge gekränkt. Cécile hatte nicht den Blick vom Herrn Direktor, der die Baoulé-Kinder an ihrer Kleidung erkannte, die sich nie änderte.
»Ich hab einen Apfel!«, rief Felix. »Magst du davon, Leon?«
»Nein, nein.«
Er wollte vor Cécile nicht als Vielfraß dastehen.
»Ich hab einen kleinen Käse«, rief Alphonse. »Magst du davon, Leon?«
»Jetzt lasst mich doch in Ruhe«, knurrte er. Cécile bemerkte, dass er leicht hinkte. Donatienne wiederum sah starr geradeaus, mit der Schicksalsergebenheit leidender Kinder. Honorine wusste nicht mehr, wie sie ihren Ranzen tragen sollte, so sehr zog er ihr an den Schultern.
»Soll ich deine Tasche nehmen, Victorine?«, schlug Cécile ihr vor.
»Ich bin Honorine. Nein, das geht schon.«
»Wir sind Neger. Wir sind stark«, erklärte Leon angeberisch.
Copyright © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main.
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Autoren-Porträt von Marie-Aude Murail
Marie-Aude Murail stammt aus einer Schriftstellerfamilie aus Le Havre, Frankreich, und studierte Philosophie an der Sorbonne. Sie zählt zu den beliebtesten zeitgenössischen Kinder- und Jugendbuchautorinnen Frankreichs und wurde mit zahlreichen Preisen geehrt. Für ihren Roman 'Simpel' erhielt sie den Deutschen Jugendliteraturpreis. Ihre Jugendbücher erscheinen auf Deutsch exklusiv bei Fischer.Literaturpreise:'Simpel'Ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2008 (Jugendjury)Empfehlungsliste des Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreises 2008Jugendbuchpreis 2008 der Jury der Jungen Leser (Altersstufe 13/14)'Das ganz und gar unbedeutende Leben der Charity Tiddler'Die besten 7 Bücher, Januar 2012'Vielleicht sogar wir alle'Auswahlliste des Heinrich-Wolgast Preises'Ein Ort wie dieser'Platz 3 Landshuter Jugendbuchpreises 2015 Scheffel, TobiasTobias Scheffel, 1964 in Frankfurt am Main geboren, studierte Romanistik, Geschichte und Geographie an den Universitäten Tübingen, Tours (Frankreich) und Freiburg. Seit 1992 arbeitet er als literarischer Übersetzer aus dem Französischen und lebt in Freiburg im Breisgau. 2011 wurde er für sein Gesamtwerk mit dem Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises ausgezeichnet.Literaturpreise:2011: Deutscher Jugendliteraturpreis, Sonderpreis für das Gesamtwerk als literarischer Übersetzer
Produktdetails
- Autor: Marie-Aude Murail
- Altersempfehlung: Ab 12 Jahre
- 2014, 416 Seiten, Maße: 14,6 x 21,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Tobias Scheffel
- Verlag: FISCHER KJB
- ISBN-10: 3596856272
- ISBN-13: 9783596856275
- Erscheinungsdatum: 18.02.2014
Rezension zu „Fischer Schatzinsel / Ein Ort wie dieser “
Murail gelingt es, eine ernste Geschichte mit großen Themen wie Migration und Globalisierung leichtfüßig zu erzählen. Christine Steffen Neue Zürcher Zeitung 20140604
Pressezitat
Murail gelingt es, eine ernste Geschichte mit großen Themen wie Migration und Globalisierung leichtfüßig zu erzählen. Christine Steffen Neue Zürcher Zeitung 20140604
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