Ich, Doro, hatte mal einen Bekannten, der gesagt hat, dass seine Kinder „nichts von dem Stress zwischen ihm und seiner Partnerin merken würden" – schließlich würden sie sich ja nicht vor ihnen streiten. Hm..., ich sage, dass Kinder alles merken, da sie feine Antennen haben. Was sagst du dazu aus pädagogischer Sicht?
Streit kommt in Beziehungen vor, auch zwischen Elternteilen. Lange Zeit wurde Elternstreit generell als negativ betrachtet und es herrschte die Meinung, dass Eltern sich auf keinen Fall vor den Kindern streiten dürfen. Wie ich aber auch in meinem Buch „New Moms for Rebel Girls” beschreibe, haben Studien gezeigt, dass nur destruktive Konflikte wie verbale oder physische Aggressivität, Blockadeverhalten, Rückzug, Meidung und Feindseligkeit der Eltern sowie ungelöste Konflikte das Gefühl der emotionalen Sicherheit vermindern und zu Anpassungsproblemen und psychischen Schwierigkeiten, schulischen Problemen und Schwierigkeiten im Umgang mit Gleichaltrigen führen können.
Eltern sollten daher ihre Konflikte konstruktiv austragen und wenn ein Kind Zeuge eines Konfliktes ist, sollte es auch dessen Lösung erfahren. Wir müssen also nicht Streitereien vor Kindern ausschließen, sondern angemessen mit Konflikten vor den Kindern umgehen. Und dies sowohl in Partnerschaften als auch bei getrennten Eltern.
Deswegen ist es auch so wichtig, nach oder während einer Trennung nicht in einen “Rosenkrieg” zu gelangen, sondern wirklich um konstruktive Lösungen, die notfalls durch andere Personen begleitet werden, zu erlangen.
Eine Woche bei einem Elternteil, eine Woche bei dem anderen – wie sinnvoll ist das aus deiner Sicht? Welche Modelle gibt es nach der Trennung noch, damit die Kinder beide Elternteile sehen können? Und wie siehst du sie aus bindungsorientierter Sicht?
Es gibt viele verschiedene Modelle nach Trennung und Scheidung. Beim Residenzmodell wohnen die Kinder bei einem Elternteil, das die Kinder hauptsächlich versorgt. Beim Nestmodell gibt es „ein Nest”, also einen Wohnort der Kinder, bei dem sich die Eltern abwechseln in der Anwesenheit. Und dann gibt es noch das aktuell sehr propagierte Wechselmodell, bei dem die Kinder bei den Elternteilen gleichermaßen viel wohnen.
Oft wird in Bezug auf das Wohlergehen auf die Quantität geachtet und diese als bedeutsam für Kinder betrachtet: Wieviel Zeit hat das Kind mit jedem Elternteil? Studien zeigen aber, dass die Qualität der Beziehung wichtig ist in Bezug darauf, wie es dem Kind geht: Wenn ein Kind viel Zeit bei einem wenig fürsorglichem Elternteil verbringen muss, ist dies für die Entwicklung des Kindes nicht vorteilhaft, auch wenn es eben mehr Zeit mit diesem Elternteil insgesamt verbringt. Die Qualität der Beziehung und die Art des Erziehungsverhaltens der Bezugspersonen sollte darüber entscheiden, wie für das Kind eine Betreuung ermöglicht werden kann. Im Fokus sollte das Kindeswohl stehen.
Worauf sollten Eltern nach der Trennung, auch im Hinblick auf neue Partner*innen achten?
Kinder können zu vielen verschiedenen Menschen Bindungsbeziehungen aufbauen, die unterschiedlich gestaltet sein können. Wichtig ist, neue Bezugspersonen als Bereicherung für das Kind zu betrachten und nicht vorab neue Partner*innen als Konkurrenz um die Beziehung zum Kind zu sehen. Wichtig ist natürlich auch, dass die neue Bezugsperson auch eine solche Einstellung hat und sich nicht als Ersatz etablieren will oder soll.
In Hinblick auf die Kinder ist es sinnvoll, eine neue Bezugsperson dann wirklich fest einzubinden, wenn man sich selbst sicher ist, dass diese langfristig eine Bezugsperson für das Kind sein kann.
Hast du noch etwas, was du allen „Getrennten" mit auf den Weg geben möchtest?
Noch immer werden Menschen, insbesondere Mütter, nach einer Trennung stigmatisiert und in unserer Gesellschaft diskriminiert. Wir alle müssen daran arbeiten, dies zu verändern. Für getrennte Elternteile ist es wichtig, dass sie sich diesem gesellschaftlichen Druck nicht unterwerfen und Schuldgefühle im Sinne von „Was habe ich meinem Kind nur angetan, weil ich mich getrennt habe, eine „richtige” Familie besteht doch aus…” bekommen. Trennungen sind richtig und gut, wenn wir uns nicht mehr wohl fühlen in einer Beziehung. Es ist besser, zu gehen, als in einer schlechten Beziehung zu verbleiben – das gilt auch für das Wohl der Kinder.
Vielen Dank, Susanne!
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Kerstin Lüking, Hebamme und Expertin von MutterKutter (© Anne Seliger)
Liebe Susanne, mit deinen letzten Worten triffst du einen Nerv: Denn das ist genau das, was ich, Kerstin, erlebt habe. Ich dachte immer: wir müssen doch eine Familie bleiben. Das können wir dem Kind nicht antun, dass wir getrennt leben!
Rückblickend betrachtet wäre es aber viel besser gewesen, wenn wir viel früher einen Schlussstrich gezogen hätten. Das, was wir unserer Tochter mit diesem ständigen Hü und Hott angetan haben, hat zu einem lebenslangen „Trennungs-Schaden“ geführt. Anschuldigungen, Beleidigungen, Demütigungen: Wir haben das volle Ballett an Rosenkrieg aufgefahren, was damals unsere Anwälte gut beschäftigt und ernährt hat.
Es kam der Tag, es war kurz nach dem Abitur unserer Tochter, an dem sie nicht mehr richtig sehen und laufen konnte. Die Diagnose: Multiple Sklerose mit 19 Jahren.
Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich um die Klinik geschlichen bin, nur um meinem Ex-Mann nicht in die Arme zu laufen. Es kam dennoch zu einem Wiedersehen. Passenderweise im Fahrstuhl. Fluchtversuch unmöglich. Ich war klitschnass geschwitzt. Ich hatte das Gefühl, dass meine Halsschlagader kurz vor der Explosion stand.
Mein Ex-Mann war besorgt über den Zustand unserer Tochter. Er wollte mit mir reden. Das hatte sich unsere Tochter von uns gewünscht und eingefordert: „Ich wünsche mir, dass ihr euch mal wie vernünftige Erwachsene verhaltet. Redet miteinander. Ich brauche das jetzt, um wieder gesund zu werden.“
Wir haben geredet, mehrere Stunden. Wir konnten tatsächlich auch miteinander lachen und mussten feststellen, dass uns die Jahre reifer und milder gemacht hatten. Wir trafen damals die Vereinbarung, uns anzurufen, wenn wir merken, dass unsere Tochter Unterstützung braucht. Das wir ab jetzt an einem Strang ziehen werden und nicht mehr gegeneinander arbeiten wollen. Das hat sich bis heute, bis auf kleine Ausnahmen, gehalten. Unsere Tochter kann sich auf zwei funktionierende Elternteile verlassen, die aber ein Leben lang in ihrer Schuld stehen werden. Bei meinen weiteren Kindern, die ich in meiner zweiten Ehe bekommen habe, habe ich aus den Fehlern gelernt. Ja, natürlich knallt es auch bei uns. Das ist in jeder Familie so, aber wir gehen mit Konflikten grundsätzlich anders um. Wir besprechen viel mehr gemeinsam und versuchen immer einen Konsens zu finden, der uns als Paar zufrieden macht. Die Frage: „Wie sieht denn deine Lösung für das Problem aus?“, ist uns wichtig, denn sie impliziert, dass unser Gegenüber mit in den Prozess mit einbezogen und nicht außen vorgelassen wird. Beziehung ist keine Einbahnstraße, zu einer Beziehung gehören immer zwei, und damit diese gelingen kann, müssen wir ins Gespräch gehen, uns in die Augen gucken können und auch willig sein, Kompromisse eingehen zu können. Denn das ist für mich ganz klar: Das Leben ist keine gerade Linie, sondern ein stetiges Auf und Ab an Gefühlen und Befindlichkeiten, mit denen wir irgendwie klarkommen müssen. Und nur wir – und kein anderer – sind dafür verantwortlich, wie unsere Beziehung und vor allem unser Leben gestalten werden.