Was ist, wenn mein Kind keine Freund/innen hat – wenn es in der Kita oder in der Grundschule alleine spielt? Wie können wir es unterstützen? Und wie uns auch selbst den Druck nehmen? Denn, ganz klar: Wenn unser Kind leidet, dann leiden wir mit. Wenn unser Kind keinen Anschluss findet, dann versetzt uns das einen riesigen Stich ins Herz. „Mama, was ist wenn ich in der neuen Schule keine Freunde finde?“ oder „Muss ich in der Kita allein sein?“ – das sind Fragen, die mir meine Kinder (Kerstin) immer wieder gestellt haben. Wir sind berufsbedingt drei Mal quer durch Deutschland gezogen und meine Kids mussten sich immer wieder in völlig neue Situationen einfinden – ganz ähnlich wie das NEINhorn, eine ganz zauberhafte Geschichte.
Von vorne anfangen
Natürlich waren sie sehr aufgeregt. Ich habe sie immer stark gemacht und ihnen am ersten Kita- oder Schultag gesagt: „Ich verstehe dich. Ich würde dir gerne die Angst abnehmen. Und ich fühle dich. Ich wette aber, dass du spätestens übernächste Woche schon neue Freund/innen gefunden hast.“ Und tatsächlich hat die Erfahrung gezeigt, dass die Sorge am Ende total unbegründet war. Ich habe meine Kinder laufen lassen, sie selbst machen lassen und ihnen aus tiefsten Herzen vertraut. Und spätestens vier Wochen später waren sie voll integriert. Ich muss dazu sagen: Meine sieben Kinder sind alle sehr aufgeschlossen. Aber was ist, wenn ein Kind schüchtern ist? Wie können wir sie als Eltern unterstützen? Wir haben unsere Pädagogin und Bestsellerautorin Inke Hummel gefragt, ob sie ein paar Impulse geben kann. Ihr folgen alleine auf Twitter inzwischen rund 30 000 Menschen. Inke ist auch Mitglied bei MutterKutter und ihr Rat ist für uns absolut Gold wert.
Inke Hummel (© Benjamin Jenak)
Liebe Inke, wie oft kommen Eltern in deine Beratungen, die sich Sorgen machen, weil ihre Kinder wenig oder keine Freund/innen haben? Welche Fragen haben sie und welche Antworten kannst du geben?
Inzwischen dreht sich etwa jede dritte Beratung bei mir um schüchterne Kinder und etliche davon sind sehr introvertiert, suchen also eher nicht viele Kontakte, größere Zusammenkünfte und trubelige Beschäftigungen. Viele Eltern sorgen sich deshalb, weil sie das Bild von einem glücklichen Kind im Kopf haben, das viele Freunde hat, ständig auf Kindergeburtstagen ist und jeden Nachmittag jemanden treffen möchte. Manche Eltern sorgen sich auch erst, seit sie im Kindergarten darauf angesprochen wurden, dass „dieses ständige Alleinspielen doch nicht normal“ sei. Die Blicke von außen verunsichern, sie selbst haben jedoch oft gar nicht das Gefühl, ihrem Kind würde etwas fehlen.
In den meisten Fällen zeigt sich, dass die Sorge unberechtigt ist. Gerade im Kindergartenalter spielen Kinder sehr unterschiedlich. Alles ist ja noch Spiel, und die Schüchternen sitzen oft gern dabei, aber machen nicht mit, oder sie suchen eher Kontakt zu Erwachsenen als zu wilden, eher lauten Gleichaltrigen. Im Grundschul- und Jugendalter haben sie oftmals Freundschaften, aber sehr, sehr überschaubar, und sind auch damit zufrieden. Die Eltern fragen sehr klar: Ist das bedenklich? Müssen wir etwas tun? Und das schauen wir uns dann genau an.
„Braucht“ denn jedes Kind deiner Erfahrung nach Freund/innen oder gibt es auch Kinder, die einfach wirklich gerne alleine sind?
Beziehungen zu anderen Menschen braucht jeder. Wir sind durch und durch sozial. Beziehungsaufbau und Kommunikation sind wichtige Übungsfelder für jeden. Aber die Ausgestaltung des Beziehungsgeflechts kann ganz unterschiedlich aussehen und doch für die jeweilige Person genau die richtige sein. Wenn dein Kind glücklich ist mit der vielen Alleinzeit und ansonsten keine Probleme hat, auch mal auf andere zuzugehen oder auf andere einzugehen, die ihrerseits Kontakt suchen, dann musst du nicht wirklich etwas unternehmen.
Wie können wir unsere Kinder unterstützen – vor allem dann, wenn sie leiden? Und woran erkennen wir, dass sie leiden?
Nur manchmal sind die Kinder, um die es in den Beratungen geht, tatsächlich unglücklich. Das bekommt man am besten im Gespräch heraus. Ab und an hilft auch nur beobachten: Wenn ein Kind Situationen immer mehr vermeidet, in denen Kontakte passieren könnten, kann es sein, dass es leidet und in eine Hemmung fällt, weil das Angehen der Sache so fordernd erscheint – also das Haus nicht mehr verlassen möchte oder andere Dinge gar nicht mehr probieren mag. Auch dann muss man nach und nach versuchen, ins Gespräch zu kommen: Was fühlst du? Was wünschst du dir? Was ängstigt dich? Und dann brauchen sie von uns Hilfe dabei, aktiv zu werden: Situationen, in denen sie abgesichert üben können, und Ideen, wie sie Kommunikation leicht starten können. Sollte ein Elternteil selbst ein ähnliches Naturell haben, hilft zudem offenes Sprechen darüber. Dann fühlt sich das Kind nicht so „alienhaft“ und man kann gemeinsam schauen, was gute Lösungsmöglichkeiten sein könnten und vielleicht sogar gemeinsam üben.
Als Mutter liegt mir (Doro) eine Sache sehr am Herzen: Ich mache meine Kinder dafür stark, dass sie auch mal über ihren Freund/innen-Tellerrand hinausblicken. Ich finde es wichtig, sie dazu zu ermuntern, auch andere Kinder mit einzubeziehen. Auch diejenigen zu sehen, die vielleicht nicht so viele Freund/innen haben und sie mitspielen zu lassen. Ich kann da zwar nur Impulse geben und muss akzeptieren, wenn sie nicht wollen – aber ich kann vorleben, dass wir „gemeinsam“ stark sind und wir nach rechts und links gucken sollten. Eine Gemeinschaft ist nun einmal ein „WIR“ und kein „ICH“.
Ein Beispiel: Es gibt ein Mädchen, das sich am Schulhof offenbar schwer von seiner Mutter trennt und sich wohl kaum traut, den Weg zum Klassenraum alleine zu meistern. Ich habe meiner Tochter vor ein paar Tagen gesagt: „Wie geht es dem Mädchen denn? Könnt ihr irgendwie helfen, den Weg leichter zu gestalten?“.
Ich glaube: Wir können nicht früh genug damit anfangen, den Blick unserer Kinder dafür zu schärfen, dass wir alle unterschiedlich sind und dass unsere Gesellschaft bunt ist. Übrigens beobachte ich, dass die Corona-Situation an der Kita und dem Hort auch etwas Gutes hat: Eltern lassen ihre Kinder los, indem sie „draußen“ bleiben müssen. Das kann im ersten Moment super hart sein, dass wissen wir alle. Ich bekomme aber von den Erzieher/innen gespiegelt, dass sich viele Kinder schneller bzw. leichter lösen als vor der Pandemie. Vielleicht ist das für unsere Kinder wiederum auch eine große Chance!
Doro und Kerstin, unsere Expertinnen von MutterKutter (© Anne Seliger)
Buchtipp von MutterKutter:
Inke Hummel: Mein wunderbares schüchternes Kind – Mut machen, Selbstvertrauen stärken, liebevoll begleiten. Die besten Strategien für alle typischen Situationen (Erschienen im Humboldt-Verlag, ISBN: 9783842616479)
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